Eine Dystopie im Guckkasten: Jimmy Cautys Installation "The Aftermath Dislocation Principle".

Foto: Thomas Mayer

Wien – Wie ein Ufo ist am Samstagnachmittag zum künstlerischen Auftakt der Festwochen ein Schiffscontainer des englischen Künstlers Jimmy Cauty auf dem Yppenplatz in Ottakring zwischen Ballspielkäfig und Brunnenmarkt gelandet. Durch Gucklöcher in der Wand des großen Metallquaders ist zu erspähen, dass dessen Inneres zur Gänze von einer Installation gefüllt wird: The Aftermath Dislocation Principle.

"Eine Eisenbahnausstellung", stellen einige Besucher fest, nachdem sie einen allzu kurzen Blick in dieses "Folgeverlagerungsprinzip" geworfen haben. Netter Versuch. Irgendwie erinnert die detailreiche Miniaturlandschaft im Maßstab 1:87 an die Großleistungen mancher Modelleisenbahnvereine, die Züge in akribisch nachgebastelten Landschaften fahren lassen. Doch was Cauty hier zeigt, ist definitiv anders: eine dystopische Vorstadt-Industrie- und Verkehrswüste irgendwo im englischen Bedfordshire.

Plakative, aber wirksame Witze

Zu sehen sind nicht Eisenbahnen, sondern verkommene Straßen, teilweise zusammengebrochene Autobahnzubringer, ein paar heruntergekommene Plattenbauten. Oder ein "Drive-thru"-Fastfoodlokal, durch das ein Lkw gedonnert ist – ein plakativer, aber wirksamer Witz, ebenso wie der kleine Schiffscontainer, an dessen Längsseite "Revolution" gesprayt ist. Die Fastfood-Havarie bleibt nicht der einzige Verkehrsunfall. An mehreren Orten liegen kaputte Autos herum.

Hier war offenbar vor kurzem etwas los, das alle Menschen bis auf die Polizei verjagt respektive "disloziert" hat. Denn überall blinkt Blaulicht und stehen Uniformierte in gelben Signalwesten umher. Wenn es einmal eine Aufregung gegeben hat, dann hat sie sich gelegt. Die Polizistengruppen schauen sich die Bescherung an.

Sie scheinen nicht zu verstehen. Daher pinseln sie mathematische Formeln an Wände, die von Isaac Newtons Gravitationsgesetz und eine zweite, kompliziertere. Die Situation lässt keine einfachen Schlüsse zu. Was hier geschehen ist, hatte zweifellos eine gewisse Komplexität.

Kunst und "Artivismus"

Da The Aftermath Dislocation Principle als Peepshow aufgebaut ist, liegt der Schluss nahe, dass jene, die im Container fehlen, von draußen auf die ganze Bescherung schauen. Im Vorjahr hat Cauty seinen Container auf eine achtmonatige "Riot"-Tour durch das Vereinigte Königreich geschickt. Dabei wurde er an Orten platziert, an denen es im Lauf der Geschichte Aufstände gab. In Wien steht die Installation noch bis 22. Mai auf dem Yppenplatz zur Erinnerung an die Teuerungsrevolte von 1911. Danach bis 1. Juni beim Karl-Marx-Hof mit Blick auf den Februaraufstand 1934 und schließlich auf dem Praterstern in der Nähe der Pizzeria Anarchia, die 2014 polizeilich geräumt wurde.

Widerstand ist ein Schaffensprinzip von "Rockman Rock" Jimmy Cauty (geb. 1956), der erst einmal Gitarrist der Band Angels 1-5 war, sich dann mit Bill Drummond zusammentat und 1994 für Aufsehen sorgte, als er in einer Kunstaktion eine Million Pfund verbrannte. Popmusik, Aktivismus und Kunstproduktion gehören für Cauty von jeher zusammen. Daher passt sein Werk auch bestens zum Konzept der neuen Festwochen unter Tomas Zierhofer-Kin, das die Kunst ganz nahe an "Artivism" (Kunstaktivismus) heranrücken will.

The Aftermath Dislocation Principle ist keine überexplizite Propaganda, wie sie in der aktivistischen Kunst und in politisch bemühten popkulturellen Statements häufig auftaucht. Im Gegenteil – bei Cauty müssen sich die Betrachter das Gezeigte erobern. Sonst bleibt es beim lustigen Eindruck, da wäre eine "Eisenbahnausstellung" zu sehen. (Helmut Ploebst, 15.5.2017)