Neuwahlansage unter martialischen Gemälden: Sebastian Kurz muss rasch in die Schlacht.

Foto: Christian Fischer

Wien – An der Gewölbedecke Schlachtengemälde, darunter ein Mann, der selbst Heldentaten vollbringen soll: Nach ausgiebigen Lobeshymnen aus den eigenen Reihen war Sebastian Kurz am Freitag im Außenministerium angetreten, um sich zu deklarieren – zumindest in einer der beiden Fragen, auf die alle Welt von ihm Antworten erwartet.

Während sich der schwarze Hoffnungsträger angesichts des Abgangs von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner klar für Neuwahlen aussprach, ziert er sich bei der zweiten Entscheidung: Übernimmt Kurz als Chef die ÖVP? "So wie‘s war, so kann es nicht bleiben", sagte er – soll heißen: Der neue Boss "muss die Möglichkeit haben, die inhaltliche Linie vorzugeben, und der muss vor allem auch Personalentscheidungen treffen dürfen". Die Obmannkür ist somit auf Sonntagabend vertagt: Da trifft sich der Parteivorstand.

Reingedrückte Minister

Kurz‘ Forderung nach Personalhoheit kratzt an der Machtstellung der ÖVP-Granden: Es ist üblich, dass Landeshauptleute und Chefs der Parteibünde bei der Besetzung der Minister und anderer Schlüsselposten mitentscheiden – mitunter in sehr dominanter Weise. So hatte die starke niederösterreichische ÖVP Mitterlehner ihren Parteigänger Wolfgang Sobotka als Innenminister reingedrückt, was sich für die Koalition als schwer Hypothek erweisen sollte.

Aus Kurz‘ Sicht ergibt es deshalb Sinn, die Partei zappeln zu lassen. Alternative zum ihm ist keine in Sicht, er kann also hoffen, mit der Taktiererei Zugeständnisse herauszuschlagen. Und wenn die Landesfürsten nicht nachgeben, weil sie ahnen, dass sich Kurz dem geballten Ruf nach ihm letztlich nicht erwehren kann? Dann hat es zumindest so ausgesehen, als ließe sich der neue Obmann nicht bedingungslos einspannen.

Klarheit – oder verdecktes Spiel

Kurz liegt viel daran, sich in der Selbstdarstellung von den Riten und Ränkespielen der traditionellen Politik abzuheben, bei seinem Auftritt am Freitag betonte er mehrmals: Er bleibe sich treu und lasse Klarheit walten. Dies schlägt sich freilich mit den verdeckten Aktivitäten, die ihm nicht nur SPÖ und Kommentatoren, sondern auch Stimmen aus der ÖVP nachsagen: Kurz und seine Anhänger sollen aus dem Hintergrund Zwietracht in der Koalition gesät haben – bis zum nunmehrigen Krach.

Doch da tut sich ein Widerspruch auf. Gleichzeitig gilt nämlich als gesichert, dass der Jungstar lieber später in Wahlen gegangen wäre – etwa deshalb, damit sich Kanzler Christian Kern noch etwas im Koalitionsalltag verschleiße, während der Außenminister über den Dingen steht. Wie Mitterlehner beim Abgang verriet, wusste Kurz auch, dass er auf jeden Fall Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen werden kann, und das nach einer geordneten Übergabe. Wie das zu der ihm zugeschriebenen Anstifterrolle passt?

Kern schlecht aussehen lassen

Informationen aus der ÖVP ergeben folgendes Bild: Sehr wohl habe Kurz daran gearbeitet, den künftigen Rivalen Kern und damit auch die Regierungsarbeit schlecht aussehen zu lassen – und Sobotka gerne die Speerspitze spielen lassen. Doch der impulsive Niederösterreicher ist schwer steuerbar. Sobotka ging derart auf Kern los, dass sich auch der koalitionswillige Mitterlehner desavouiert fühlen musste. Die folgende Eskalation sei nicht mehr in Kurz‘ Interesse gewesen.

"Da sind manchem die Zügel entglitten", sagt einer aus der ÖVP. In dieses Bild passt das von Kurz unvorsichtig ausgesprochene Bekenntnis, dass ihm die Partei im derzeitigen Zustand nicht für eine Übernahme genehm sei. Mitterlehner fühlte sich als Platzhalter degradiert, wie er später bei seinem Abgang sagte.

Letzter Akt: Mitterlehner hatte den Sobotka noch einmal zu einem Friedensgelübde genötigt. Von Seiten des Innenministers und der niederösterreichischen VP sollen als Revanche Medienberichte über Mitterlehners Schwäche gefüttert worden sein. Schließlich schmiss der Vizekanzler – auch genervt vom Koalitionspartner SPÖ – hin. (Gerald John, 12.5.2017)