Jakob Schneider und Johanna Wolff – meist spielen sie nackt.


Foto: Marcel Köhler

Wien – Unaufgeregt fiel am Mittwochabend im Wiener Nestroyhof der Schlussapplaus für eine ebensolche Inszenierung von Pier Paolo Pasolinis Orgie aus. 1966 hat der Skandalregisseur und Autor die verbale Gewaltorgie geschrieben. Ingrid Lang hat sie im Hamakom gediegen inszeniert.

Nestroy Hamakom

Pasolinis sadomasochistisches Ehepaar lässt die Regisseurin dort zwischen Bad, Küche und Schlafzimmer dialogisieren. Die Wände – Peter Laher zeichnet für die Bühne verantwortlich – sind aus Marmor, die Möbel aus Leder und Stahlrohr, die Bewohner kultivierter Mittelstand.

Doch ihre Liebesbekundungen klingen brutal. "Für dich existiere ich: Du bist mein Herr. Ich Hure, du Ausbeuter", lautet einer der gestochen direkt aus Johanna Wolffs Mund kommenden Sätze. Sie spielt die Frau, Jakob Schneider den Mann. Er erinnert die nachfolgend gezeigten Szenen, während er sich erhängt.

Bürger- und Bühnenschreck

Statt Spiel Vortrag, statt Applaus Diskussion, so stellte Pasolini sich in einem Manifest Theater vor. Bekannt vor allem für seine Filme, hat er auch sechs Stücke geschrieben. Ebenso zum Bühnenbild hatte der Bürgerschreck eine klare Meinung – nein danke.

So weit geht der Abend nicht, und einer Orgie, einem Fest des Fleisches, kommt er nie nahe. Statt auf Effekte konzentriert Lang sich auf den nicht ganz einfachen, aber faszinierend frei denkenden Text. Dessen Stoßrichtung: Die Lust macht die beiden in ihr Verbundenen zu Außenseitern der Gesellschaft. Jene ist ihren Neigungen ein Gefängnis, wenn sie sich tagsüber in Traditionen und Normen einüben, deren sozialer Ruhe sie zudem misstrauen. "Mir scheint, dass es in diesem Frieden Massenmorde gibt", so sie. "Ein friedliches Leben hat der gelebt, der seine Andersartigkeit kaschiert", so er.

Bebildert wird dieser dialogische Essay über Freiheit mit alltäglichen Szenen einer Ehe: Hygiene im Badezimmer, Gespräche beim Schlafengehen im Doppelbett. Dort schminkt eine Assistentin Wolff auch die Hämatome auf den über weite Strecken nackten Körper.

Hart und zart

Seinen Reiz gewinnt der kühle Abend aus ebendiesem Kontrast der harten Worte und weichen Gesten. Auf entgegengesetzten Raumseiten lässt Lang ihre Spieler in Lichtkegeln sitzen und sachlich die Umstände einer Gruppenvergewaltigung durchgehen. Vom Plattenspieler schmeichelt dazu ein Violinkonzert. Dann wieder stellt die zarte Wolff sich beim innigen Tanz auf die Füße des Gatten. Auch in der Statur verkörpert das Paar sein Dominanzgefälle.

Am Ende tritt Mina Pecik als Mädchen mit auf die Bühne. Ihre forsche, aufmüpfige Art irritiert den Mann, der – im Einverständnis – eben seine Frau und Söhne getötet hat und nun vergeblich Hand an sie legen will.

Auf erstickte Weise realistisch, ist das sehr beklemmend. Denn es geht bei Sadomaso ja nicht um die Schläge. (Michael Wurmitzer, 10.5.2017)