Barbara Glück sieht bei der Gedenkarbeit rund um das ehemalige KZ Gusen Aufholbedarf: "Wenn man 60 Jahre das Lager Gusen nicht beachtet hat, dann hat man dort mehr zu tun als in Mauthausen."

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Die offiziellen Feierlichkeiten zum Gedenken an die Befreiung der NS-Konzentrations lager in Österreich wurden heuer von heftiger Kritik überschattet. Die polnische Vizekulturministerin Magdalena Gawin erklärte, dass die Erinnerungsarbeit von Österreich "behindert" werde. Woher rührt der polnische Ärger?

Glück: Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen. Und ich finde es schade, dass gerade das Wochenende der Befreiungsfeiern für so etwas genützt wird. Es ist offensichtlich, dass die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit eine politische Strategie verfolgt, die ausschließlich einer polnisch-nationalistischen Geschichtsschreibung dienen soll.

STANDARD: Erstmals stehen nun drei private Grundstücke, auf denen Teile des Lagers Gusen standen, zum Verkauf. Gibt es konkrete Verhandlungen mit dem Bund?

Glück: Ja, derzeit laufen Gespräche mit den Eigentümern. Nach der Befreiung des Lagers Gusen wurde dieses sukzessive abgebaut, und die Gebäude und Grundstücke sind zu einem großen Teil in Privatbesitz übergegangen – und sind bis heute in privater Hand. So auch drei Grundstücke, die von einer Firma genutzt werden. Darunter ist auch der ehemalige Appellplatz des Lagers. Bei Grabungen durch das Bundesdenkmalamt ist man auf Fundamentreste gestoßen. Konkret Teile der Küchenbaracke und Reste der Abgrenzungsmauern. Es ist erstaunlich, dass noch so viel vorhanden ist. Und das hat auch die Situation geändert – und daher laufen jetzt die Verkaufsgespräche.

STANDARD: Was plant man dann dort, sollte der Kauf erfolgreich über die Bühne gehen?

Glück: Es geht ja nicht nur um den Ankauf der Grundstücke, sondern darum, was man dann mit dem Areal macht. Die Frage ist, wie man die Neuentdeckungen in die bestehende Gedenkarbeit einbindet. Das ist ein zentraler Punkt. Es soll ein großes Ganzes werden.

STANDARD: Polen hat schon einen konkreten Vorschlag zur Nachnutzung auf den Tisch gelegt – man hätte dort gerne ein polnisches Bildungszentrum. Wäre das für Sie vorstellbar?

Glück: Ich kenne die konkreten Pläne noch nicht. Aber natürlich werden wir bei der Neugestaltung alle Nationen mit einbinden. Der Wunsch der Polen ist nachvollziehbar, da gerade in Gusen sehr viele Polen umgebracht wurden. Aber man muss sich das sehr genau anschauen, zwei Kilometer entfernt ist das Besucherzentrum der Gedenkstätte Mauthausen, wo bereits sehr intensiv pädagogische Arbeit gemacht wird – auch für Gusen. Verschiedene Konzepte und Ideen gibt es genug, mir geht es immer um das große Ganze.

STANDARD: Das offizielle Österreich hat das Gedenken nach Mauthausen verlegt – vielleicht auch ein Grund für den polnischen Ärger in der nahen Gedenkstätte Gusen?

Glück: Die Republik engagiert sich durchaus auch in Gusen – und zwar immer mehr. Heuer war etwa erstmals der Bundespräsident bei den Gedenkfeierlichkeiten dabei. Aber natürlich hinken wir bei der Gedenkarbeit nach: Die KZ-Forschung hat in Österreich erst in den 80er-Jahren begonnen. Und damit auch die historische Aufarbeitung der Außenlager. Man kann "sehr spät" sagen, oder man dreht es um und sagt "endlich".

STANDARD: Faktum ist, dass Gusen trotz seiner mehr als 35.000 Toten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung kaum präsent ist – obwohl in diesem KZ ab 1942 mehr Menschen interniert waren als in Mauthausen.

Glück: Ja, da gibt es einen Aufholbedarf. Wenn man 60 Jahre das Lager Gusen nicht beachtet hat, dann hat man dort mehr zu tun als in Mauthausen. Und auch dort ist noch einiges zu tun. Aber mit dem neuen Ausstellungskonzept ist viel passiert – auch was die Einbindung von Gusen in das Gedenkkonzept betrifft. Die Republik ist sich also durchaus ihrer Verantwortung bewusst.

Standard: Die Gedenkstätte in Gusen wurde von Überlebenden selbst errichtet. Und in der neuen Dauerausstellung in Mauthausen ist kaum etwas zur Errichtung der Stollenanlage Bergkristall und der Fertigung der Me-262-Flugzeuge zu finden, immerhin die Todes ursache von etwa 11.000 Menschen oder mehr ...

Glück: Das ist so einfach nicht richtig. Die Dauerausstellung an der Gedenkstätte Mauthausen erzählt sehr wohl eine integrative Geschichte des KZ-Systems Mauthausen/Gusen. Und wir haben erreicht, dass der Bergkristall -Stollen heute zweimal pro Jahr zu besichtigen ist. Weitere Projekte werden folgen. Meine Botschaft ist daher an alle Kritiker: Gebt uns die Chance, etwas zu entwickeln. (Markus Rohrhofer, 08. 05. 2017)