Zum Kicken ist es niemals zu spät, und das Ziel ist das Tor: Menschen mit Herzschwäche gehen dem Ball hinterher.

Foto: B&K / Nicholas Bettschart

"Komm, Opi, komm!", schreit ein junges Mädchen vom Spielfeldrand ihrem Großvater zu. Der legt sich gerade ordentlich ins Zeug, nimmt seinem Gegenspieler in einem Duell gekonnt den Ball ab und geht Richtung Tor. Er geht, weil Laufen verboten ist. Immer wieder muss der Schiedsrichter das Spiel abpfeifen, weil einer der Spieler zu schnell unterwegs ist – von den Zuschauerrängen her folgt darauf jedes Mal Gelächter.

Hier wird Gehfußball gespielt. Schauplatz ist die Westside Soccer Arena in Wien. Hier fand vor wenigen Wochen das erste Gehfußball-Turnier der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft statt. Mit am Start waren drei Teams: in Rot die Unterstützer des Österreichischen Herzverbands und Patienten selbst, in Grün ihre Ärzte – also ein Team aus Kardiologen – und in Gelb die Vertreter des FC Nationalrat, der Mannschaft des österreichischen Parlaments, die ebenfalls am Turnier teilnahm. Hauptziel des Tages: Bewusstsein für das Thema Herzinsuffizienz schaffen.

Weil die Dunkelziffer sehr hoch ist, schätzen Experten die Zahl der an Herzinsuffizienz erkrankten Österreicher auf bis zu 300.000. Bewegung kann der Erkrankung vorbeugen. Studien zeigen, dass bereits mit ein bis drei Trainingseinheiten pro Monat das Risiko, innerhalb der nächsten 25 Jahre an Herzinsuffizienz zu erkranken, um 23 Prozent gesenkt wird – mit fünf bis sieben Einheiten pro Woche sogar um 36 Prozent.

Risikofaktoren senken

Und regelmäßige Bewegung hilft auch, wenn das Herz schon schwach ist. Bei Erkrankten kann schon ein leichtes Training Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Diabetes, Fettleibigkeit und koronare Herzkrankheiten senken. Dass Bewegung auch Herzinsuffizienzpatienten hilft, ist noch nicht lange klar. Lange stellte sich die Frage, ob das Risiko einer Herzüberlastung nicht schwerer wiegt als die positiven Effekte. "Diese Sorgen konnten Studien jedoch ausräumen. Sie zeigten, dass maßgeschneidertes Training nicht nur kein zusätzliches Risiko bringt, sondern zu einer Verringerung weiterer Komplikationen und Krankenhausaufenthalte führt", berichtet Johann Altenberger, Leiter des Rehabilitationszentrums Großgmain. Gehfußball sei hierfür besonders ideal, sagt Deddo Mörtl, stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz: "Es ist ein Spiel, das den Körper zwar fordert, aber nicht überfordert."

An diesem sonnigen Freitag steht neben der körperlichen Ertüchtigung vor allem der Spaß im Mittelpunkt. Auch deshalb eignet sich Gehfußball als Sportart für Herzkranke, Mörtl erklärt: "Wir sehen in der klinischen Praxis immer wieder, dass viele unserer Appelle für mehr Bewegung ins Leere gehen und noch so gut gemeinte Trainingsprogramme oft keine nachhaltige Wirkung haben – sie sind für viele schwer umzusetzen." Ein wichtiger neuer Ansatz sei es deshalb, Lebensstiländerungen weniger als Pflichtübung zu präsentieren, sondern den Spaßfaktor in den Vordergrund zu stellen. Bei Herzschwäche empfohlene Sportarten wie Nordic Walking oder Radfahren seien für viele nicht das Richtige. "Der Mensch sollte nicht das Gefühl haben, dass er sich zu seinem Training erst motivieren muss, er soll so viel Spaß daran haben, dass er nicht mehr darauf verzichten möchte."

Bis ins hohe Alter

Und noch einen Vorteil hat der Sport: "Er ist ideal für alle, die in ihrer Jugend Fußball gespielt haben, etwa in einem Verein, und heute nicht mehr so richtig können", sagt ein Spieler aus der Gruppe der Patienten in einer Turnierpause. Und gerade in Österreich, so meint er, gebe es viele Fußballbegeisterte, die selbst wieder gerne spielen würden. Das bestätigt auch Mörtl. "Spieler können bis ins hohe Alter mitmachen. Mit der Gehfußball-Initiative sollen jene, die mit spätestens 30 aufgehört haben, dem runden Leder nachzujagen, weil der Sprint aufs Tor ihre Kräfte überfordert hat, oder die aufgrund einer Herzerkrankung das Kicken nicht mehr wagen, zurück zu ihrer Spaß-Sportart geführt werden."

Auch unter den Fußballern des ersten österreichischen Gehfußballturniers sind Menschen jedes Alters, erfahrene und weniger erfahrene. Dennoch wird hart geschossen, härter, als man es bei einem Gehfußballturnier erwarten würde. "Vielleicht weil durch das Laufverbot mehr Kraft fürs Schießen da ist", vermutet ein Zuschauer. Vor allem die geübten Spieler wollen immer wieder zum Sprint ansetzen, bevor ihnen einfällt, dass Rennen hier verboten ist. Sie ärgern sich, dass sie nicht schneller dürfen. Zur Erinnerung tönt es von den Zuschauerplätzen immer wieder: "Nicht laufen!"

Weltweiter Boom

Erfunden wurde Gehfußball 2011 in England, das Spiel ist von der Fifa als eigene Sportart anerkannt. Die Regeln unterscheiden sich nicht wesentlich vom normalen Fußball. Die wichtigste dabei ist, dass das Laufen – mit und ohne Ball – verboten ist. Ist ein Spieler zu schnell unterwegs, gibt es einen Freistoß für die gegnerische Mannschaft. Beim dritten Verstoß muss der Spieler auf die Strafbank.

In England und zunehmend auch in Deutschland erlebt diese langsame Variante des beliebtesten Ballsports der Welt gerade einen Boom. Zahlreiche Profivereine haben bereits eigene Gehmannschaften gegründet, die sich inzwischen auch in einer eigenen "Walking Football League" matchen, berichtet Mörtl. Deshalb wollen die Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz und der Österreichische Herzverband als Patientenorganisation die Sportart auch hierzulande populärer machen. Fußball soll in Zukunft kein Sport mehr ausschließlich für die Jungen sein, "viele Stars der englischen Clubs sind über 50, manche sogar 70", erzählt Mörtl. Als Sieger ging übrigens der FC Nationalrat vom Platz. Gewinnen war an diesem Tag aber ohnehin nebensächlich. (Bernadette Redl, 9.5.2017)