Yves Tumor am zweiten Abend in Krems.

Foto: david visnjic/donaufestival

"There is a war coming", brüllt es immer wieder bei tüchtiger Lautstärke aus dem mit Infrarot stark unterbelichteten Bühnendunkel, ein nach außen gewendetes Selbstzerfleischungsmantra. Die Ohren werden jetzt einmal für zehn Minuten mit einem elektronischen Drahtwaschel gut durchgeputzt. Es kreischt, knistert und brutzelt wie ein mit Boxentürmen verstärkter Fliegengrill.

Meine Güte, schau dir diese Sauerei an. Richtig schwarz kommt es da heraus. Alles verstopft mit Autotune, Funktionsharmonik und Liedern von hängeschultrigen jungen Leuten, die davon träumen, einmal die nächsten Wandas zu werden. Entschuldigung, es kann sein, dass es jetzt kurz ein bisserl wehtut, weil auch unterhalb das Zahnbett entzündet …

Oje, das tut mir jetzt leid! Der Nebel des Grauens zieht auf und hervorsteigt Yves Tumor, um sich beim Donaufestival in Krems den Alan-Vega- und Suicide-Gedächtnispreis abzuholen, der hier von den Programmgestaltern jährlich vergeben wird. Platz zwei geht bisher an die japanische Group A vom Festivalstart am Freitag – aber das Donaufestival 2017 ist noch jung.

Mit Köpflern ins Publikum

Yves Tumor, der Amerikaner in Turin, hat im Vorjahr auf dem PAN-Label das exzeptionelle Album Serpent Music veröffentlicht. Mehrfach gebrochener R’n’B und Soul wird darauf mit Experimentalelektronik, Ambient und eben Noise so bekömmlich wie verstörend vermengt. Live geht es Yves Tumor mit Köpflern ins Publikum sowie derben, schroffen und primitivistischen Rockriffs aus der digitalen Bastelkiste dafür so gar nicht sensibel und emotional vielschichtig an.

Eine der bestechendsten militärischen Angriffspläne der Geschichte lautet schließlich: Stürmen wir einfach auf sie los und schlagen sie zusammen. Und zwar mit Gebrüll. Gebrüll stärkt den Angreifer und lehrt dem Feind das Fürchten. Mit von den Synthiepunk-Pionieren Suicide abgeschautem parolenhaften Kasernengebell im Hallgewitter und der Echoschlaufe, die eine Stimmbandraspel integriert hat, geht Yves Tumor eine halbe, äußerst intensive Stunde gegen das Publikum vor.

Zigarette danach

Am Ende ist die Welt doch nicht ganz untergegangen. Ein versöhnlicher Track auf akustischer Gitarrenbasis funktioniert als Zigarette danach. So sauber waren die Ohren schon lange nicht mehr. Ein Konzert des Jahres. Auch Moor Mother aus Philadelphia rückt anschließend gegen das Publikum mit ähnlichen Mitteln vor. Die US-Amerikanerin ist zu Hause auch sozial und politisch in diversen Nachbarschafts- und Bildungsinitiativen aktiv.

Live von zahlreichen Fuck-yous und brutalen, wie auch brutal-geschnittenen HipHop-Beats und Störfrequenzen aus dem Laptop befeuert, wird von Moor Mother mit kräftiger Stimme das alte Lied Woody Guthries vom Land, das einem eigentlich gehört, obwohl es einem von meist bösen weißen Männern geraubt wurde noch einmal aus afroamerikanischer Sicht radikalisiert: "Meet my dead body at the protest."

Auch dies bei aller Sperrigkeit und inhaltlichen Härte eine Kunst, die nicht nur Gruseln macht. Eine Predigt muss auch versöhnliche Seiten haben, um ihre Wirkung zu entfalten. Am Schluss tanzen Leute aus dem Publikum den Widerstand. (Christian Schachinger aus Krems, 30.4.2017)