Die ersten 100 Tage waren gar nicht so schlecht.

Karikatur: Michael Murschetz

Der polarisierte Diskurs um Donald Trump versperrt leicht den Blick auf die eigentlichen politischen Entwicklungen. Trumps Kritiker, die gerne mit Faschismusvergleichen operieren, konzedieren nur ungern, dass sich ihre schlimmsten Prophezeiungen nicht erfüllt haben: Der Rechtsstaat besteht noch, Bücher werden nicht verbrannt, und der Kongress ist in keinem Reichstagsbrand untergegangen. Die Vorhersage deutete auf Weltuntergang – aber nach hundert Tagen herrscht immer noch Alltag.

Es geht nicht nur um die bekannte Diskrepanz zwischen überhitzter Wahlkampfrhetorik und prosaischer Welt, sondern auch darum, dass sich beim Phänomen Trump eine Verschiebung abzeichnet. Im November siegte der populistische Kandidat. Im Jänner hielt er eine Vereidigungsrede, deren Elitekritik gegen die Normen der politischen Kultur verstieß. Nun aber, Ende April, zieht eine Normalität ein. Statt einen Bürgerschreck finden wir im Weißen Haus einen Pragmatiker, der sich mit den Sachzwängen des Amtes abfinden muss.

Diese Wende gilt besonders im außenpolitischen Bereich. Kandidat Trump segelte unter der Fahne von "America first", unter dem Primat des nationalen Interesses bei einer Abkehr von internationalen Bindungen. In der Tat nahm er eine Verschlechterung der Beziehungen zu Mexiko in Kauf, ebenso wie er dem Freihandelsabkommen für den pazifischen Raum einen letzten Stoß versetzte. In beiden Punkten erkennt man die Erfüllung von Wahlversprechen. Es sind allerdings die Überraschungen, die wichtiger sind. Im Wahlkampf kritisierte er Japan und China scharf, in den vergangenen Monaten gelang es ihm aber, anscheinend erfolgreiche Beziehungen zu Shinzo Abe und Xi Jinping aufzubauen, zum Teil als notwendige Komponenten einer multilateralen Strategie gegen die nordkoreanische Gefahr. Das ist auf jeden Fall nicht der Isolationismus, den seine Gegner ihm unterstellt haben.

Die Abkehr von einer ideologischen Abschottung ist nirgends sichtbarer als in Trumps Europapolitik. Der Kandidat verwarf die Nato als veraltet, und er denunzierte die EU, worauf ihm eine Nähe zu den Rechtspopulisten Le Pen und Orbán angekreidet wurde. Von der Nato-Kritik wenigstens hat er sich inzwischen emphatisch distanziert – weil es ihm gelang, von Angela Merkel die Zusage eines erhöhten Verteidigungshaushalts zu gewinnen; weil er die Rolle der Nato im Kampf gegen den Terrorismus erkannt hat; aber gewiss vor allem deshalb, weil er Russland zunehmend als Problem versteht.

Gerade darin liegt die größte außenpolitische Wende. Der Kandidat schien darauf zu setzen, Russland als Bündnispartner zu gewinnen, und erklärte sogar eine gewisse Sympathie für Putin. Somit stellte Trump die US-Version eines "Putinverstehers" dar, weshalb die Demokraten immer noch darauf insistieren, dass Trump nur durch subversive russische Einmischung die Wahl gewinnen konnte. Für diesen Vorwurf gibt es keinen stichhaltigen Beweis, aber die Verschwörungstheorie bietet letzten Endes eine tröstende Erklärung für Clintons Verlust, den ihre Anhänger immer noch nicht verschmerzen können.

Es gibt jedoch ein Kernversprechen seines Wahlkampfes, das der Außenpolitiker Trump erfüllt. Trotz isolationistischer Neigungen hat er zugleich darauf gepocht, dass der Abbau des Militärs, den Obama unternommen hatte, korrigiert werden müsse, und auch darauf, dass die Vereinigten Staaten bereit sein müssten, ihre Macht nach außen zu projizieren. Daher rührt etwa der Angriff auf den syrischen Flughafen als Antwort auf die Verwendung von Chemiewaffen durch die Assad-Regierung. Das Einsetzen dieser geächteten Vernichtungsmittel war nicht nur ein Verstoß gegen internationale völkerrechtliche Verpflichtungen, sondern auch ein Wortbruch Assads gegenüber Washington. Gerade deshalb musste Trump ein Zeichen setzen: Sein "America first"-Versprechen bedeutet auch den Willen, Stärke zu zeigen – eine klare Abgrenzung von der Obama-Regierung.

Auch in der Innenpolitik hat Trump Erfolge verbuchen können. Der Wichtigste ist die Ernennung des konservativen Richters Neil Gorsuch zum Höchstrichter auf Lebzeiten. Der 49-jährige Jurist wird die Rechtsprechung langfristig mitbestimmen. Es dürften sich allerdings Kritiker beschweren, dass Trump mit der Wahl von Gorsuch seine eigenen antielitären Einstellungen aufgab. Von den neun Richtern studierten fünf in Harvard, drei in Yale, und einer an der Columbia. Gorsuch gehört zu den Harvardianern, ist also nicht unbedingt ein bodenständiger Mann des Volkes.

Angesichts der Immigrationskritik Trumps macht sein Innenminister nun Ernst mit der Abschiebung illegaler Einwanderer, die Verbrechen begehen. Eine Niederlage für Trump gab es bei seinen zwei Versuchen, die Einwanderungsbestimmungen per Verordnung zu verschärfen. In beiden Fällen haben richterliche Entscheidungen deren Inkrafttreten verhindert. Hier fällt auf, dass trotz der immer noch kursierenden Beschreibungen von Trump als Möchtegerndiktator gerichtliche Interventionen respektiert wurden. Auch der Quereinsteiger muss sich mit den Bedingungen des Rechtsstaats und den demokratischen Spielregeln abfinden.

Trumps wichtigste bisher erlittene Niederlage betrifft die fehlgeschlagene Gesundheitsreform. Obwohl sie einen Kernpunkt im republikanischen Wahlkampfprogramm bildete, stellte sich heraus, dass die innerparteilichen Spannungen zu groß waren, um ein Reformgesetz zu verabschieden. Trotz dieses Rückschlags scheint jedoch Trump bereit, das kontroversielle Thema wieder anzupacken, in der Hoffnung, doch noch einen Deal machen zu können, bevor er zum eigentlichen Preis, eine Steuerreform, gelangen kann. Denn nur über die anvisierte Steuerreform kann Wachstum angekurbelt und damit die Chancen für seine Stammwähler verbessert werden. Das ist der Populismus, den er eigentlich meint.(Russell A. Berman, 28.4.2017)