Will ihrer Partei keinen Rechtsruck nachsagen lassen: "Wir wandeln geradezu auf Kreiskys Pfaden", sagt Staatssekretärin Duzdar.

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STANDARD: Der Maiaufmarsch des Vorjahres war denkwürdig. Nie zuvor protestierten SPÖ-Mitglieder derart massiv gegen den eigenen Parteichef. Waren Sie auch dabei und haben gepfiffen?

Muna Duzdar: Natürlich war ich auf dem Rathausplatz wie an jedem 1. Mai seit meinem 15. Lebensjahr, aber nein: Ich habe weder gepfiffen noch ein "Rücktritt"-Taferl gehalten.

STANDARD: Dabei hatten Sie sich davor in einem Posting so offen gegen Werner Faymann gestellt wie kaum ein anderer Funktionär.

Duzdar: Der 1. Mai 2016 war eine schwere Stunde für die Sozialdemokratie, aber ich will die Gründe für die Proteste nicht mehr aufwärmen. Das wäre unfair gegenüber Menschen, die heute nicht mehr in der Politik sind. Mir geht es darum, nach vorn zu schauen.

STANDARD: Um die Gegenwart zu bewerten, lohnt aber ein Blick in die Vergangenheit. Sie und die anderen Kritiker kreideten Faymann als Kanzler den "180-Grad-Schwenk", hin zu einer restriktiven Asylpolitik, an. Dann kam Christian Kern als Nachfolger – und schwenkte keinen Deut zurück. Warum können Sie nun in der Regierung vertreten, was Sie damals kritisierten?

Duzdar: Ich bewerte die Haltung von Kanzler Kern anders. Wenn er für Hilfe in den Krisengebieten und Aufnahmezentren außerhalb Europas, wo die Chancen der Asylwerber vorab abgeklärt werden, plädiert, dann kann ich das voll und ganz vertreten. Warum sollen Menschen den gefährlichen Weg übers Meer auf sich nehmen, um dann ohnehin keine Aussicht auf Asyl zu haben? Kern spricht zu Recht davon, dass wir internationale Antworten auf die Fluchtbewegungen brauchen ...

STANDARD: ... hat aber zuletzt das EU-Umsiedlungsprogramm für Flüchtlinge, eine der wenigen internationalen Vereinbarungen, die zustande kamen, torpediert – wegen 1900 Asylwerbern.

Duzdar: Er hat nichts torpediert, sondern um eine Stundung der Verpflichtung gebeten, wie auch Schweden das tat. Österreich hat ja bereits sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, andere Staaten drücken sich. Solidarität muss heißen, dass alle mitmachen.

STANDARD: Kern sagt auch, er stehe zur verbindlichen Obergrenze für Asylwerber. Sie selbst haben vor einem Jahr gesagt, dass sich Bruno Kreisky, Säulenheiliger der SPÖ, für die Idee der Obergrenze schämen würde. Gilt das nicht mehr?

Duzdar: Die Obergrenze war beschlossene Sache, als ich als Staatssekretärin antrat.

STANDARD: Eine Regierung kann einen Kurs ja korrigieren.

Duzdar: Meine Aufgabe ist es, die Integration jener voranzutreiben, die jetzt da sind. Deshalb habe ich ein flächendeckendes Programm mit durchgesetzt, das es in dieser Art noch nie gab: Es wird ein Integrationsjahr geben, Asylwerber können via Dienstleistungsscheck kleinere Arbeiten in Haushalten erledigen. Wir dürfen die Menschen nicht zur Untätigkeit erziehen, denn das fällt wie ein Bumerang auf die Gesellschaft zurück.

STANDARD: Geschah dies bisher?

Duzdar: Ja. Heute warten die Leute nach einem Deutschkurs oft monatelang bis zum nächsten. Jeder, der ein Flüchtlingsquartier besucht hat, kennt das Hauptproblem: Asylwerber sitzen herum und warten, ihr Potenzial liegt brach. Der Fehler war jahrelang: Vielerorts begann Integration erst mit Ende des Asylverfahrens.

STANDARD: Sie gelten als Linke, doch Kritiker machen in der SPÖ einen Rechtsruck aus. Der renommierte Politologe Anton Pelinka sieht den Kurs einer FPÖ light.

Duzdar: In der Wirtschaftspolitik wandeln wir doch geradezu auf Kreiskys Pfaden und greifen ein, wenn der Markt versagt – etwa mit dem Jobprogramm für ältere Arbeitnehmer oder dem geplanten Mindestlohn von 1500 Euro. Das ist Sozialdemokratie pur: Wir haben die Arbeitnehmerin im Auge, die trotz 40-Stunden-Job kaum mit dem Geld auskommt, die Großmutter, die Pflege braucht ...

STANDARD: Gleichzeitig will die SPÖ jenen Frauen aus dem Osten, die unsere Großmütter betreuen, die Familienbeihilfe kürzen.

Duzdar: Dazu laufen gerade erst Gespräche. Für die SPÖ steht fest: Die Indexierung der Familienbeihilfe kann nur im Einklang mit den EU-Regeln erfolgen.

STANDARD: Ist eine rot-blaue Koalition im Bund für Sie denkbar?

Duzdar: Nein. Ich sehe auch keinen Grund, warum wir jetzt darüber diskutieren sollen.

STANDARD: Immerhin bastelt die SPÖ an einem Kriterienkatalog, um diese Option offenzuhalten.

Duzdar: In dem Katalog kann die SPÖ klarstellen, welche Werte für eine Koalition den Ausschlag geben. Bisher haben wir uns nur über die Negation des Anderen definiert – das ist nicht g'scheit. Für mich aber bleibt es dabei: Ich sehe keine Überschneidungen. Als die FPÖ zuletzt regierte, hat sie keine Politik für Arbeitnehmer gemacht.

STANDARD: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verspricht, er wolle es bewusst anders machen als damals unter Schwarz-Blau.

Duzdar: Davon glaube ich kein Wort. (Gerald John, 30.4.2017)