Die Staatsmacht, beim Einsatz um den jüngsten Akademikerball in Wien: Mit dem neu gefassten Gesetz werden die Handhaben der Sicherheitsbehörden noch umfangreicher.

Foto: der Plankenauer/CL

Bald jährt sich der Tag zum 150. Mal, an dem das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger beschlossen wurde. Es war ein Meilenstein auf Österreichs Weg zum Rechtsstaat. Neben der unabhängigen Justiz sind es das Staatsgrundgesetz 1867, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Charta der Grundrechte der EU (GRC), die Österreich zum Rechtsstaat machen. Sie sichern die fundamentalen Rechte der Bürger gegenüber dem Staat. Alle drei haben Verfassungsrang.

Kürzlich hat der Innenminister Vorschläge zur Reform des Versammlungsgesetzes gemacht. Einen Entwurf hat er dem Ministerrat nicht vorgelegt. Aber es haben Abgeordnete von SPÖ und ÖVP einen Initiativantrag im Parlament eingebracht. Ein Begutachtungsverfahren fand erst im Rahmen der parlamentarischen Beratung statt, kritische Stellungnahmen wurden ignoriert, und der Entwurf wurde mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen.

Wie andere Grundrechte steht die Versammlungsfreiheit unter dem Vorbehalt, dass sie der Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Regelung ausgestalten und auch einschränken darf. Art. 11 der EMRK bestimmt: "Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln." Und: "Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind." Ähnlich lautet der Vorbehalt in Art. 52 der GRC.

Diesen Rahmen des Verfassungsrechts hat der Nationalrat überschritten, und das macht die Novelle verfassungswidrig. Sie enthält vier Änderungen, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit übermäßig einschränken.

· Die erste Änderung betrifft die Mindestfrist zur Anmeldung von Versammlungen. Sie ist 1968 von 72 auf 24 Stunden verkürzt worden, und die damals mit absoluter Mehrheit regierende ÖVP hat das beschlossen. Begründung des damaligen ÖVP-Abgeordneten Otto Kranzlmayr: Die "zur Verfügung stehenden technischen Einrichtungen und Vorkehrungen" erlaubten "ohne weiteres eine solche Verkürzung". Seitdem sind fast 50 Jahre vergangen, ohne dass man jemals gehört hätte, dass die kurze Frist die Behörde daran gehindert hätte, notwendige Vorbereitungen zu treffen. Wie soll man da annehmen, dass die beschlossene Verlängerung notwendig ist, wie es EMRK und GRC verlangen?

Die Begründung des Antrages behauptet nicht einmal, dass die Behörden in der Vergangenheit mit der bestehenden Frist ihren Aufgaben nicht nachkommen konnten. Die Verwaltungspraxis von 48 Jahren beweist, dass es die Behörden schon bisher immer geschafft haben, sich auf eine Demonstration vorzubereiten, und dass kein Grund besteht, warum sie es nicht weiterhin schaffen sollten. Nur die LPD Niederösterreich spricht davon, die Einhaltung der bestehenden Frist sei "mit Schwierigkeiten verbunden". Das reicht nicht aus, um ein verfassungsmäßig garantiertes Recht einzuschränken, die Fristverlängerung ist nicht notwendig, die Novelle daher verfassungswidrig.

· Die zweite Änderung sieht vor, dass "die beabsichtigte Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte" spätestens eine Woche im Vorhinein bei der Behörde angezeigt werden muss. Davon sind nicht nur Ausländer betroffen, sondern auch Inländer als Vertreter internationaler Organisationen. Offen bleibt, wer als Vertreter eines anderen Staates, einer internationalen Organisation oder eines anderen Völkerrechtssubjets gilt. Ist das bei Staaten nur das Staatsoberhaupt oder auch ein Regierungsmitglied oder jeder Politiker? Die Novelle gibt keine Antwort.

Wichtiger aber ist, warum das eine Woche zuvor gemeldet werden soll. Die Polizei werde sich vorbereiten müssen, wird man wohl hören. Was macht es für einen Unterschied, ob ein Politiker oder ob andere teilnehmen, die Tausende anziehen? Und was macht es für die Polizei für einen Unterschied, zu erfahren, ob ein bestimmter Ausländer an einer Demonstration teilzunehmen beabsichtigt oder ob es ein Österreicher ist?

Unklar bleibt auch, wen die Mitteilungspflicht trifft (ist es der Organisator der Versammlung oder der Teilnehmer oder sind es beide), im Text ist von der "beabsichtigten Teilnahme" die Rede (auf wessen Absicht kommt es an?). Und: Macht es für die Meldepflicht einen Unterschied, ob eine solche Person bei der Versammlung eine Rede hält oder nur als einer von vielen teilnimmt? Alles ungeklärte Fragen, aber eine Verletzung dieser unklaren Vorschrift kann zu einer Versammlung "gegen die Vorschriften dieses Gesetzes" und zu deren Untersagung bzw. Auflösung führen. Das ist die einzige Konsequenz, die das Versammlungsgesetz vorsieht, und das ist unverhältnismäßig, denn die ganze Versammlung wegen der nicht gemeldeten Teilnahme eines Einzelnen zu untersagen ist nicht das gelindeste Mittel zur Erreichung des Ziels. Damit ist auch diese Regelung verfassungswidrig. Es hätte genügt, der betreffenden Person aus klar definierten Gründen die Teilnahme zu untersagen und sie gegebenenfalls durch Sicherheitsbeamte zu entfernen.

· Drittens sieht die Novelle vor, dass eine Versammlung untersagt werden kann, wenn sie zwei Voraussetzungen erfüllt: Einerseits muss sie "der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen" dienen. Andererseits muss sie "den anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen, den demokratischen Grundwerten oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich" zuwiderlaufen.

Um "der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen" zu dienen, muss der betreffende Drittstaatsangehörige gar nicht an der Demonstration teilnehmen. Damit eine Versammlung der politischen Tätigkeit eines Ausländers dient, muss sich dieser nicht in Österreich aufhalten. Jede Kundgebung für einen ausländischen Politiker dient dessen politischer Tätigkeit. Die zweite Voraussetzung für ein Verbot ist besonders nebulos formuliert. Zunächst fallen die "außenpolitischen Interessen" Österreichs auf. Was diese sein sollen, bleibt zunächst ungeklärt. Außenpolitik ist wie jedes Politikfeld ein Gebiet, auf dem verschiedene Meinungen geäußert werden. Es ist Sache des Außenministers und der Regierung, die außenpolitischen Interessen Österreichs zu definieren, und die Regierung ist es, der die Kompetenz zur Untersagung einer Versammlung aus diesem Grund eingeräumt wird. Das Ergebnis ist: Die Regierung entscheidet selbst, was ihren außenpolitischen Bestrebungen zuwiderläuft. Salopp gesagt: Wenn's ihr nicht passt, kann sie eine Versammlung untersagen. Das ist verfassungswidrig.

· Die vierte Änderung ist die Einrichtung sogenannter Schutzzonen. Sie sollen im Umkreis von 50 Metern um eine Versammlung jede andere Versammlung verhindern. Auch das ist eine Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit. Das ist sinnvoll, wenn das Auseinanderhalten von Demos und Gegendemos im Interesse öffentlicher Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig ist. Dass eine solche Gefahr aber auch bestehen muss, um durch eine Schutzzone ein räumlich begrenztes Versammlungsverbot zu verfügen, sagt die Novelle nicht. Damit überschreitet sie den von EMRK und GRC gesteckten Rahmen und ist verfassungswidrig.

Der Novelle haftet der Geruch des Totalitären an. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Regierung Dollfuß das Versammlungsgesetz bemühte, um am 15. 3. 1933 den demokratisch gewählten Nationalrat am Zusammentreten zu hindern. Das Versammlungsgesetz ist eine besonders sensible Materie, es ist gefährlich, dass die Parlamentsmehrheit so leichtfertig mit einem hohen demokratischen Gut umgeht. Zumindest die SPÖ hatte sich bisher nicht an Dollfuß orientiert. (Alexander Demblin, 26.4.2017)