Sklavenhaltende Ameise Temnothorax pilagens (links) interagiert mit verklavter Wirtsameise Temnothorax ambiguus (rechts).

Foto: Susanne Foitzik

Wirtsameisen der Art Temnothorax longispinosus verteidigen ihr Nest gegen eine eingedrungene Sklavenhalterameise der Art Temnothorax americanus (Mitte).

Foto: Susanne Foitzik

Mainz – Manche Ameisenarten, darunter etwa Vertreter der Gattung Temnothorax, gehen – zumindest aus menschlicher Sicht – geradezu brutal gegen andere Ameisenkolonien nahe verwandter Arten vor: Sie überfallen regelmäßig die fremden Nester, töten die erwachsenen Tiere, stehlen die Brut und halten sich diese als Arbeitssklaven. Um bei ihren Raubzügen unerkannt zu bleiben, haben sich diese Ameisen eine regelrechte Tarnkappe zugelegt: Wie deutsche Wissenschafter nun herausgefunden haben, tragen sie auf ihrer Körperoberfläche kaum informative Duftsignale, weshalb sie von ihren Opfern nicht erkannt werden.

Ameisen identifizieren sich hauptsächlich über den Duft. Die chemischen Signale gehen von der Körperoberfläche der Insekten aus und regeln beispielsweise den Zutritt zur Kolonie. Dafür verantwortlich sind kutikuläre Kohlenwasserstoffe, die sich auf der Haut der Insekten befinden. Diese Substanzen haben aber nicht nur wesentliche Bedeutung für die Kommunikation, sondern schützen die Tiere auch vor Austrocknung. Biologen um Susanne Foitzik von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gehen der Frage nach, wie ökologische oder soziale Faktoren die Evolution der Kohlenwasserstoffprofile beeinflussen.

Versklavte Arbeiterinnen kümmern sich um die Jungen

Insbesondere interessiert die Wissenschafter, welchen Einfluss ein Wechsel zu einer parasitären Lebensweise auf die chemischen Erkennungssignale hat. Parasitische Sklavenhalterameisen rauben Kolonien fremder Arten aus und wollen bei einem Angriff von ihren Opfern nicht erkannt werden. "Wie können die Sklavenhalter eine Erkennung umgehen? Eine Möglichkeit wäre das Erkennungsprofil ihrer Opferarten nachzuahmen. Da sie jedoch verschiedene Wirtsarten ausbeuten, brauchen sie eine universellere Strategie", erklärt Foitzik. Sklavenhalterameisen überfallen die Nester ihrer Wirte, töten die erwachsenen Tiere und rauben die Brut, um sie in ihr eigenes Nest zu bringen. Dort müssen sich die versklavten Arbeiterinnen um die Aufzucht der Sklavenhalterbrut einschließlich Futtersuche und Fütterung kümmern.

Die Mainzer Evolutionsbiologen haben für ihre in den "Proceedings of the Royal Society B" erschienene Studie die kutikulären Kohlenwasserstoffe von drei Sklavenhalterarten und ihren drei nahverwandten Wirtsarten untersucht. Sie fanden bei den Ameisenarbeiterinnen aus allen sechs Arten das identische Set aus 35 Kohlenwasserstoffen. Allerdings zeichnet sich das chemische Profil der Sklavenhalter durch kürzere, weniger komplexe, unverzweigte Kohlenwasserstoffe aus. "Wir haben bei unseren drei parasitären Ameisenarten nicht weniger Substanzen gefunden als bei den Wirten, aber bei allen dreien weniger von den Signalstoffen, die zur Erkennung dienen", meint Foitzik. Da die Lebensweise der Sklavenhalterei in dieser Artengruppe mehrfach unabhängig entstanden ist, zeigen die Analysen, dass sich dieselben chemischen Strategien in der Evolution mehrfach entwickelt haben.

Für die Opfer "unsichtbar"

Außerdem haben die Forscher die verschiedenen Kasten untersucht. Bei den Sklavenhaltern wiesen Arbeiterinnen, Jungköniginnen und Männchen überraschenderweise ähnlich große Anteile an Erkennungssubstanzen auf – obwohl die Männchen sich gar nicht an Überfällen beteiligen. Bei den Wirtsameisen dagegen trugen die Arbeiterinnen relativ gesehen mehr Erkennungssubstanzen auf ihrer Kutikula als Jungköniginnen und Männchen, vermutlich weil für ihr Sozialleben die chemische Kommunikation eine wichtigere Rolle spielt.

In einer vorangegangenen Studie konnten die Wissenschafter zeigen, dass die Wirtsarten versuchen, ihre chemischen Erkennungsprofile zu differenzieren, wenn Sklavenhalter in einem Gebiet vorkommen. Wenn jede Kolonie einen anderen Duft aufweist, wird es für die Gegner schwierig, den Wirtsduft nachzuahmen. Stattdessen hat sich eine universelle Strategie der Geisterameise entwickelt, bei der die Tiere nicht das chemische Wirtsprofil nachahmen, sondern insgesamt weniger Informationen aussenden und so für ihre Opfer "unsichtbar" bleiben. (red, 2.5.2017)