In vielen Regionen des Rust Belts ist der Verfall allgegenwärtig.

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Washington – Das Gewerkschaftsbüro der Stahlarbeiter von Clairton im US-Bundesstaat Pennsylvania hat schon bessere Zeiten erlebt. Das graue Blockhaus, nur wenige Meter vom Fabriksgelände entfernt, verfällt langsam. Die Fassade bröckelt ab. Drinnen ist wenig los. Ein paar Arbeiter vertreiben sich die Zeit bis zur nächsten Schicht. Im Flur hängt ein Bild von John F. Kennedy.

Stahlfabriken und Gewerkschaftsbüros, das war jahrzehntelang das Reich der Demokraten. Doch heute passt das Porträt Kennedys nicht mehr richtig her. Es gibt keine offizielle Statistik, doch Armand Leonelli, einer der lokalen Gewerkschaftsbosse, ist sich sicher: "Die große Mehrheit der Arbeiter bei uns im Werk hat Donald Trump gewählt. Am Tag seines Triumphes haben viele gejubelt. Manche haben mit ihren Armen ein T gebildet und sind durchs Werk gelaufen vor lauter Freude."

Fundament für Sieg

Clairton liegt im Nordosten der USA, in einer der ehemals größten Industrieregionen des Landes. Hier im Rust Belt, in Pennsylvania, Ohio, Michigan und Wisconsin, hat Trump im Herbst 2016 das Fundament für seinen Wahlsieg gelegt, indem er diese vier traditionell demokratisch dominierten Bundesstaaten gewann. DER STANDARD wollte mit einem mehrtägigen Lokalaugenschein herausfinden, wer die Menschen sind, die Trump unterstützt haben, und was sie heute denken.

Der Gewerkschaftsboss Leonelli lässt an seine Kollegen via Facebook eine Nachricht schicken. "Ein österreichischer Journalist ist da, wer von den Trump-Anhängern hat Lust, mit ihm zu reden?" 30 Minuten später kommt Doug, hager, grünes T-Shirt, Brille herein. Er ist ein freundlicher, etwas zurückhaltender Arbeiter Mitte 30. Nach der Highschool hatte er Gelegenheitsjobs gemacht, bis er im Werk anfing.

Raum für Verbesserungen

Die Nachrichtensendungen weltweit sind voll mit Kritik an Trump – einmal wegen seiner Tiraden auf Twitter, ein andermal, weil neue Enthüllungen über enge Kontakte seiner früheren Wahlkampfhelfer zu Russland auftauchen. Doug sieht das und sieht es doch anders. "Es gibt immer Raum für Verbesserungen", sagt er, "aber Trump strengt sich mehr an als andere. Er macht seine Sache gut. Ich bin zufrieden."

Doug hat vor allem eines der vom Präsidenten unterzeichneten Dekrete gefallen. Die Rede ist nicht von der berüchtigten Executive Order gegen Einwanderer aus arabischen Ländern wie dem Irak. Trump hat kurz nach seiner Angelobung ein Dekret unterzeichnet, wonach bei künftigen Pipelinekonstruktionen nur noch US-Stahl eingesetzt werden kann. Das findet in Orten wie Clairton Beachtung. Ob dieser Order umsetzbar sein wird, ist fraglich. Doch Doug gefällt die Symbolik. "Wir müssen dagegen etwas tun, dass ausländische Unternehmen ihren Stahl billig in den USA verkaufen. Trump tut etwas." So denken hier die meisten. Wer verstehen will, warum, muss die Geschichte des Ortes kennen.

Clairton liegt eine halbe Autostunde von Pittsburgh entfernt. Rohstoffvorkommen und die guten Wasserwege haben Ende des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass hunderte Stahlfabriken entstanden. Berüchtigte Industrielle wie Andrew Carnegie gründeten gigantische Fabriken. Zuerst kamen die Werke mit ihren Schornsteinen, rundherum entstanden Städte, die nicht selten nach der Fabrik benannt wurden. Das Wirtschaftswachstum der Region war rasant.

Zerstörungspotenzial

In der Pittsburgh-Region lässt sich aber nicht nur Kraft, sondern auch das Zerstörungspotenzial des Kapitalismus bestaunen. Ab Ende der 1970er-Jahre ging es bergab.

Japanische und europäische Stahlproduzenten waren produktiver und eroberten den US-Markt. Ein Stahlwerk nach dem anderen sperrte zu, 150.000 Jobs gingen verloren. Das Werk in Clairton blieb, statt 4.000 arbeiten heute aber nur noch 1.000 Menschen hier.

Jobs in Einkaufszentren statt Fabriken

Nach und nach stabilisierte sich die Lage. Anstatt in den Fabriken gab es Jobs in Einkaufszentren. Weil zehntausende Menschen die Gegend verließen, ist die Arbeitslosigkeit heute wieder niedrig. Die meisten haben materiell alles: Haus, Auto, Fernseher. Doch die Einkommen liegen unter dem Landesschnitt. Die Flucht aus der Region hat ganze Stadtviertel verwaisen lassen, Häuserblöcke rotten vor sich hin.

In Pittsburgh ist das anders. Der Steel-City ist die Transformation gelungen. Dort sind Universitäten und Spitäler heute die größten Arbeitgeber. Doch von dieser Entwicklung kommt im Umland, in Clairton, Ambride, Braddock, und wie die einstigen Stahlzentren heißen, nichts an. Und wenn, entstehen Probleme: Der größte Spitalsbetreiber aus Pittsburgh, UPMC, hat dutzende Kliniken im Umland aufgekauft. Weil sie nicht ertragreich waren und um die Patienten in die großen Spitäler zu holen, sperrte UPMC mehrere Einrichtungen zu.

Ein Leben in der Schrumpfkur

Arbeiter wie Doug erleben ihr ganzes Leben lang eine regionale Schrumpfkur. Niemand glaubt, dass Trump Wunder bewirkt und die Jobs im großen Stil zurückbringt. Allein schon, weil in den verbliebenen Fabriken Maschinen einen großen Teil der Arbeiten erledigen. Doch Trump habe die richtigen Themen angesprochen. Das sagen sogar jene, die ihn nicht gewählt haben, wie der Gewerkschaftsboss Leonelli. Heute machen chinesische Konkurrenten den Arbeitern Sorgen – jene versprach Trump mit Zöllen zu belegen. Dass damit in den USA gebaute Autos teurer werden würden, beschäftigt die Trump-Anhänger nicht.

In Gesprächen mit Bewohnern wird der Präsident gelobt, "weil er energetisch ist". Man solle ihm Zeit geben. Einem Kleinunternehmer ist die Geschichte mit dem Klimaanlagenbauer Carrier in Erinnerung geblieben. Carrier wollte aus einem Werk in Connecticut 1.100 Stellen nach Mexiko auslagern. Trump versprach Steuersenkungen. Carrier sagt zu, einen Teil der Jobs in den USA zu halten. "Die TV-Sender kritisierten Trump, weil er nicht alle Jobs rettete", sagt der Unternehmer. "Warum haben sie nicht einfach gesagt: Das ist einer, der endlich etwas probiert." (András Szigetvari, 21.4.2017)