Gemessen an den Umständen, die im Land herrschen, war es ein außerordentliches Ergebnis. Fast 24 Millionen Türken sagten Nein zum Regimewechsel, den sich ihr Staatschef so sehr wünschte. Tayyip Erdoğan hat ihn bekommen, aber nur knapp. Ausnahmezustand, kontrollierte Medien und willkürlich agierende Justiz haben die Hälfte der türkischen Gesellschaft nicht davon abgehalten, gegen den starken Mann zu stimmen.

Das Ergebnis des Referendums vom 16. April ist wichtig für die Türkei, aber auch für die Europäer. Den Fehler der vergangenen zehn Jahre dürfen sie nun nicht noch einmal begehen: Der politisch liberale, demokratisch gesinnte Teil der türkischen Gesellschaft darf nicht mehr fallengelassen werden. Das Herumeiern mit den Beitrittsverhandlungen hat Tayyip Erdoğan nur in seinem autoritären Kurs bestärkt und den liberalen, prowestlichen Teil der türkischen Bevölkerung noch machtloser gemacht.

Von europäischen Grundwerten verabschiedet

Das Projekt Türkei-Beitritt ist heute erst einmal vom Tisch. Mit dem Wechsel zu einem Regime, in dem der Präsident fast alles entscheidet und das Parlament und die Justiz fast gar nichts, hat sich Erdoğans Türkei von europäischen Grundwerten verabschiedet. Doch die Verbindungen zur Türkei müssen offen bleiben. Die Aufhebung des Visazwangs, so endlos lang von den Türken erwartet, wäre nun ein richtiger Schritt. Der liberale Teil der Türkei braucht Öffnung und Austausch. Der autoritäre übrigens auch.

Der knappe Sieg des Erdoğan-Lagers bei diesem Volksentscheid ist aber vor allem eine dramatische Botschaft an das Land: Erdoğans Präsidialregime ist das falsche Regierungssystem für die tief gespaltene Türkei. Es wird nicht funktionieren. Es wird das Land in ständiger Spannung halten und lähmen. Es wird sehr wahrscheinlich nicht gut enden.

Gegner mit Druck kleinhalten

Tayyip Erdoğan, so lehrt die Erfahrung der vergangenen Regierungsjahre, wird seine Kritiker und Gegner mit Druck kleinhalten. Neue Verschwörungstheorien werden verbreitet werden, wenn politische oder wirtschaftliche Erfolge ausbleiben. Neue "Operationen" werden gestartet werden, um die türkische Öffentlichkeit zu beschäftigen: Wiedereinführung der Todesstrafe, Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens mit den Europäern, ein neuer militärischer Beinahekonflikt mit Griechenland um unbewohnte Felseninseln in der Ägäis wie in den 1990er-Jahren.

Es gibt jene, die an eine Beruhigung in Erdoğans Präsidentenpalast glauben, an eine Saturierung des Staatschefs, jetzt, wo der Regimewechsel durch das Referendum angenommen ist. Doch draußen sind die 48,6 Prozent der Türken, die sein Regime nicht wollen. Die türkische Gesellschaft, so komplex, wie sie ist, braucht demokratischen Handel und Kompromisse. Nicht schön und sehr viel schwieriger und aufreibend. Der Ruf nach dem starken Mann, der aufräumt und sagt, wo es angeblich langzugehen hat, ist die einfache Lösung.

Sie ist obendrein ein Trug. Denn Erdoğans Präsidialregime hat einen Konstruktionsfehler: Der türkische Staatschef regiert künftig allein und ohne große Kontrolle, doch seine Präsidentenpartei sollte tunlichst auch jede Parlamentswahl gewinnen. Erdoğan muss das erst sicherstellen, notfalls auch stille Koalitionspartner gewinnen. Es ist ein Rezept für mehr Intransparenz. Der Übergang zum Präsidialregime verheißt der Türkei mehr Unruhe, nicht Stabilität. (Markus Bernath, 17.4.2017)