Entspannungsphase gebe es heute kaum kaum noch, sagt Arbeitspsychologe Johann Beran: "In der Freizeit reizen wir uns mit Elektronik bis zum Einschlafen weiter." Er empfiehlt: Das Smartphone ausschalten und entspannen lernen.

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Beran: "Ich merke auch in Unternehmen, dass Situationen mittlerweile in Blitzesschnelle total eskalieren. Vor allem dort, wo längere Unruhephasen in organisationaler Umgestaltung vorangegangen sind. Das Aufblasen von Kleinigkeiten zu ständigen Katastrophen ist dafür auch recht symptomatisch."

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STANDARD: Als Büromensch erlebt man zunehmend Gereiztheit und auch Beleidigtsein, Gekränktsein. Was ist los – oder täuscht der Eindruck?

Beran: Nein, der täuscht gar nicht. Das lässt sich auch gut in Kommentaren und Postings in den Social Media beobachten: Was da zutage kommt, ist nicht Bösartigkeit, sondern Gekränktheit, Verteidigung nach Verletzung.

STANDARD: Wo kommt das her?

Beran: Wir sind alle viel zerbrechlicher und verletzbarer, als wir zugeben möchten. Das kleine verletzte Kind verlässt uns nicht, es bleibt in uns. Hören wir Schlüsselworte, dann geht eine Assoziationskaskade los, es werden im Gehirn Daten abgerufen, die je nach Verletzungsbild dazu passen. Was dann herauskommt, ist eine Reaktion auf das Innen, gar nicht auf das Außen. Solange Verletzungen nicht geheilt sind, gibt es keine Chance, aus den alten Reaktionsmustern auszubrechen – die sind eine sehr mächtige Instanz in uns.

STANDARD: Lauter traumatisierte Menschen?

Beran: Das müssen keine objektiv großen Ereignisse gewesen sein, meist geht es um Empfindungen aus der Kindheit. Wir kennen ja im Prinzip nur eine Struktur: Eltern zu Kind. Das Schlimmste darin ist das Gefühl, von den Eltern verraten, nicht wahrgenommen, nicht geliebt, nicht gelobt zu werden. Dann bin ich das gekränkte, abgewiesene, übersehene Kind. Das wird auf Unternehmen recht klar übertragen, über dieses Referenzkonto wird enorm viel "abgerechnet". Das nehme ich auch in den Gesprächen in Unternehmen so wahr: so viel Beleidigtsein.

STANDARD: Das sogenannte Erwachsensein beinhaltet aber doch eigentlich, dass ich die Impulse wahrnehme und auf ein System der Steuerung zurückgreife, Reflexionsschleifen zwischen Reiz und Reaktion einziehe...

Beran: Theoretisch, ja eh. Aber wo lernen wir denn reflektieren? Wo lernen wir, uns liebevoll kritisch in Bezug zu setzen? Das ist leider nicht allzu häufig der Fall.

STANDARD: Wie könnte so eine Übung beginnen?

Beran: Nicht gleich raussprudeln. Durchatmen. Den emotionalen Hochpegel durch Atmungsregulation senken. Dann ist schon mal weniger Sauerstoffüberschuss im Hirn und der Kontrolllappen tut sich leichter.

STANDARD: Das andauernde dünnhäutige Gereiztsein – ist das auf Überlastung zurückzuführen?

Beran: Wir leben in einer Welt, in der Spannung von allen Seiten permanent bleibt. Das Datenbombardement führt zu einem ständigen Krisenmodus im Gehirn. Ein andauerndes Spannungshoch, das Kontrollsysteme weitgehend ausschaltet und uns im Kämpfen-oder-Flüchten-Modus hält. Das ist extrem anstrengend. Entspannungsphasen gibt es kaum noch – in der Freizeit reizen wir uns mit Kampfspielen und Elektronik bis zum Einschlafen weiter.

STANDARD: Macht uns das gefährlicher füreinander?

Beran: Sicher. Ich merke auch in Unternehmen, dass Situationen mittlerweile in Blitzesschnelle total eskalieren. Vor allem dort, wo längere Unruhephasen in organisationaler Umgestaltung vorangegangen sind. Das Aufblasen von Kleinigkeiten zu ständigen Katastrophen ist dafür auch recht symptomatisch.

STANDARD: Was tun?

Beran: Immer das Selbe: in den Wald gehen. Die Energien durch Bewegung rauslassen. Elektronische Geräte nicht ins Bett mitnehmen. Entspannen lernen und üben. Das ist auch in Unternehmen ganz zentral, dass sich die Leute entspannen können – zwischendurch, nicht nur "zu Hause". In dauernd gespanntem Zustand geht nicht viel Produktives weiter. (Karin Bauer, 17.4.2017)