"Mallorca muss die Zahl ausländischer Urlauber limitieren und den Kampf gegen illegal angebotene Ferienwohnungen auf Online-Plattformen forcieren", fordert Joaquín Valdivielso, Moralphilosophie-Professor an der Universität von Palma de Mallorca, und Mitinitiator von Terraferida. Dabei müsse auch das Bewusstsein der Touristen geschärft werden. Die Untätigkeit des Hotelleriesektors bestärkt Valdivielso in seinem Verdacht, dass jener selbst an der Ferienwohnungsblase beteiligt ist.

STANDARD: Welche Auswirkungen zeitigt der Trend zu Online-Plattformen wie Airbnb auf die Wohnungssituation in Mallorca über die vergangenen Jahre?

Valdivielso: Es gibt mehrere Dimensionen des Problems. Mit Airbnb und Co hat sich das Angebot illegaler Ferienwohnungen exponentiell vergrößert. Nehmen wir die Zahl der Urlauber vom August des Vorjahres, die mit einer Million gipfelte. Legale Unterkünfte gibt es knapp eine halbe Million, primär Hotelbetten und eben die wenigen Ferienwohnungen, die allen gesetzlichen Normen entsprechen. Wir gehen daher von bis zu 300.000 illegalen Angeboten aus. Alleine Airbnb unterhält aktuell 110.000 Wohnungen und Appartements, die überwiegenden Mehrheit davon ist nicht gesetzeskonform und damit illegal. Das liegt auch daran, dass das geltende Gesetz nicht erlaubt, Wohnungen oder Zimmer als Urlaubsdomizile zu vermieten. Häuser, Fincas und Vergleichbares sind hingegen sehr wohl innerhalb des Gesetzes. Zwischen 2014 und 2016 ist die Zahl der Angebote auf Online-Plattformen um 300 Prozent gestiegen. Darum kämpfen wir, dass sich die VerValdivielsolichen hier an die Arbeit machen.

STANDARD: Der Anstieg der Mietpreise in vielen Städten macht Wohnungen im Zentrum unerschwinglich. Preise steigen, mehr und mehr kündigen ihre Jobs kündigen, um sich "Ferienwohnungen" zu widmen.

Valdivielso: Besonders betroffen sind die Stadtzentren, allen voran Ibiza-Stadt und eben auch Palma – Zonen die bisher vom Tourismus in punkto Ferienwohnungen verschont geblieben sind. Es gab kleine Hotels, eine limitierte Zahl an Hotelbetten, und die Wohnflächen waren prinzipiell für die Bewohner gedacht. Nun herrscht ein enormer Druck, den ich Super-Gentrifizierung nenne. Mietpreise stiegen binnen vier Jahren um mehr als 40 Prozent – fünf Mal so stark wie im Durchschnitt aller spanischen Provinzhauptstädte.

Joaquín Valdivielso (links) und Jaume Adrover von der Intitiative Terraferida.
Foto: privat

STANDARD: Nimmt man weitere Touristik-Hotspots aus, etwa die Trend-Stadtteile Madrids, Chueca und Malasaña, oder Born und Raval in Barcelona, lag der Anstieg bei maximal sechs Prozent. Wie steht es um die ruralen Gebiete Mallorcas, das Hinterland?

Valdivielso: Die Entwicklung ist flächendeckend, in gewisser Weise breitet sich das Phänomen wie eine Ölpest aus. Mallorca ist klein, in etwa einer Stunde kann man die Insel von West nach Ost mit dem Auto durchqueren. Zuletzt wird viel aufgekauft, Agrarbetriebe, Fincas, die für die Nutzung als Feriendomizile renoviert und adaptiert werden. Neubaulizenzen nahmen auch drastisch zu, alleine 2016 um 88 Prozent, wie offizielle Daten des Architektengremiums der Balearen belegen.

STANDARD: Die Problematik per se ist doch keine neue?

Valdivielso: Schon seit vielen, vielen Jahren weiß man auf Mallorca über einen illegalen Markt an Ferienwohnungen Bescheid. Vor 15 Jahren ging man davon aus, dass knapp ein Viertel, 100.000 von knapp 400.000 Nächtigungsmöglichkeiten, illegal war. Damals gab es weder Airbnb noch vergleichbare Online-Plattformen. Es war anzunehmen, dass das Gros jener Ferienwohnungen ohnehin von der Touristikindustrie unterhalten wurde.

STANDARD: Lässt das Erinnerungen an die Bauboom-Jahre wieder wach werden?

Valdivielso: Über viele Jahre seit dem Platzen der Immobilienblase 2008 war die Bauwirtschaft wie gelähmt. Nun zeigen die Indikatoren eine Tendenz Richtung neuer Blase. Es gibt zwei Facetten: Die eine ist der aktuelle Tourismusboom auf den Balearen. Den ersten gab es in den 1960er-Jahren, mittlerweile sind wir beim fünften Boom angelangt. Jeder Boom hat gewisse Bereiche der Gesellschaft beeinflusst. Der aktuelle ist der erste, der durch alle Bereiche dringt. Zudem verbucht das Balearen-Archipel ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum, 2016 knapp vier Prozent, als der Rest Spaniens. Die zweite Facette ist ein enormer Zuwachs an Investitionen bei den Ferienwohnungen. Immobilienplattformen bieten viele Investmentmöglichkeiten: Wohnungen, Häuser, Fincas, die es zu adaptieren gilt, und deren Rentabilität man über das Vermieten gewährleisten will. Es gibt Annoncen auf russisch, deutsch, englisch, schwedisch. Der Tenor ist dabei oft: Kaufen, um die Immobilie ein paar Wochen pro Jahr selbst zu nutzen, und den Rest des Jahres stellt man sie auf Webplattformen, um Profit zu machen. Das sind freilich keine produktiven Werte, es sind rein spekulative. Das ist derselbe Prozess, der uns zur "Ziegelblase" führte. Eine enorme Menge Geld wurde von den Banken bereitgestellt, um Wohnungen zu bauen und zu verkaufen, mit der Aussicht auf Profit. Die Preise stiegen kontinuierlich, wir waren allesamt in einem kollektiven Rausch. Bis das Kartenhaus zusammenbrach, und die Blase platzte.

STANDARD: Ein Wachstum ohne stabiles Fundament:

Valdivielso: Wir als Umweltschutzorganisation sehen zwei massive Probleme. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Entwicklung auf die Lebensqualität in der Zukunft? Welch ein Mallorca werden wir haben? Wie stark wird der Druck auf die Umwelt und die Infrastrukturen? Rein ökonomisch betrachtet ist es für uns aber auch irrational. Wir lassen wieder einmal den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerbröseln, um spekulativ Gewinne abzuschürfen.

Frage: Die ursprüngliche Idee vom "Teilen" seiner Wohnung wird zusehends pervertiert?

Valdivielso: Wir sehen hier wie auch in anderen beliebten Urlaubsdestinationen eine klare Tendenz zur Konzentration. Einige wenige Anbieter auf den Plattformen stellen eine Vielzahl an Unterkünften bereit. Die kleinen Anbieter, die etwa einen Teil ihrer Hypothek mit dem sporadischen Vermieten ihrer eigenen Wohnung abzubezahlen suchten, halten dem Konkurrenzdruck nicht stand. Mehrfachanbieter dominieren, die anderen geraten ins Hintertreffen. Mehrwert und Produktivität werden dadurch nicht gesteigert, vielmehr steuern wir auf einen kollektiven Suizid als Gesellschaft zu. Das, was wir aktuell erleben, ist nicht mehr als ein neues – verzeihen Sie mir den Ausdruck – Massenbesäufnis. Der Kater wird wieder schmerzhaft sein.

STANDARD: Die Aussicht auf Profite lockt sicherlich auch ausländische Mallorca-Fans, Deutsche, Briten, Niederländer an?

Valdivielso: Natürlich, auch wenn wir davon wissen, dass etwa 20 Airbnb-User 17 Prozent des Marktes kontrollieren. Doch es ist kein rein ausländisches Problem, da muss man keine Xenophobie schüren. Die Schuld trifft nicht "die Ausländer". Es ist ausreichend spanisches Kapital involviert. Das Problem sind Großinvestoren, motiviert durch die Aussicht auf kurzfristigen Gewinn. Einzelne User haben Einnahmen von über 700.000 Euro Jahresumsatz aus ihren Ferienwohnungen, wie wir dank InsideAirbnb wissen. Diese User stellen zwischen 500 und 700 Wohnungen online. Airbnb zahlt außerdem so gut wie keine Steuern in Spanien. Das geht alles über das europäische Steuerparadies Irland. 2016 zahlte Airbnb knapp 100.000 Euro an Steuern an den spanischen Staat, wegen Marketingausgaben wohlgemerkt.

Grafik: InsideAirbnb

STANDARD: Welche Verantwortung trifft diejenigen, die Ferienwohnungen auf Plattformen buchen?

Valdivielso: Man muss die Touristen sensibilisieren, ihr Bewusstsein schärfen. Es ist ein kollektives Problem. Wie wir auch in Sachen Ernährung ethische Werte internalisieren, wenn wir biologische, lokale Produkte kaufen, und dafür eben etwas tiefer in die Tasche greifen. Urlauber, die über Online-Plattformen buchen, müssen die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sehen. Eigentümer, Airbnb-User und auch Banken und Immobilienmakler, die zuletzt massiv die Werbetrommel rührten, auf dass Kunden über Kredit Wohnungen kaufen, um diese als Ferienwohnungen anzubieten, müssen sich der Folgen bewusst sein. Kurzfristiger Gewinn rechtfertigt keine mittelfristige neuerliche Katastrophe. Mallorca darf kein Disneyland werden. Und selbst Disneyland hat ein Limit an Eintrittskarten, die man täglich verkauft.

STANDARD: Was steht hinter der Datenplattform InsideAirbnb, die ihnen die Daten bereitstellt?

Valdivielso: Es ist ein Kollektiv, dass die Werkzeuge hat, um das Angebot von Airbnb zu durchleuchten, um daraus Schlüsse zu ziehen.

STANDARD: Wie stehen Sie zur angestrebten Reform der Gesetze für Ferienwohnung auf den Balearen?

Valdivielso: Das Gesetz ist noch nicht beschlossen, es wurde von der Regionalregierung abgesegnet, aber es folgt noch der gesamte Weg der endgültigen, parlamentarischen Beschlussfindung. Primär geht es dabei um die Kommerzialisierung von Ferienwohnungen. Gemeinsam mit Umweltschutz-NGOs, Nachbarschaftsvereinen und kritischen Kollektiven haben wir einen Teil unserer Anliegen durchgesetzt. Allen voran gesteht der Gesetzgeber ein, dass der Ferienwohnungsboom Einfluss auf die Verfügbarkeit und Preise von Mietwohnungen hat – und damit auf eines der spanischen Grundrechte, nämlich das auf eine Wohnung. Diese müssen in erster Linie sozialen Nutzen haben, keinen kommerziellen. Zugleich wird mit der Reform festgehalten, dass Ferienwohnungen natürliche Ressourcen mindern und damit Einfluss auf Umwelt, Lebensqualität sowie Infrastrukturen haben. Daraus resultierend muss es ein klares Limit an Urlaubern geben, die wir empfangen können. Ein Problem, für das sich die Regionalregierung noch vor einem Jahr absolut blind zeigte. Zudem werden Inspektionen forciert. Sprich, wir NGOs und Bürger, wir gewinnen zumindest die ersten kleinen Scharmützel in diesem langen Kampf.

STANDARD: Wo liegt die ungelöste Problematik der Reform?

Valdivielso: Prinzipiell bei der Festlegung des Gästelimits, dass man mit der aktuell verfügbaren Bettenzahl beziffern will, ohne ein exaktes Bild der Situation, legal und auch illegal, zu haben. Das Gesetz spricht von 500.000 Hotelbetten, ohne zu klären, wie viele es in legalen Ferienwohnungen gibt. Zudem gibt die Regionalregierung die Verantwortung an die lokale Verwaltung der einzelnen Inseln der Balearen ab. Denn diese dürfen die Grenzen selbst festlegen.

STANDARD: Wie steht es um die Inspektionen?

Valdivielso: Im Vorjahr waren zehn Inspektoren mit dem Thema betraut. Und ein leitender Inspektor. Nun sollen es drei führende Kräfte werden. 2016 gab es nur knapp hundert Sanktionen für Irregularitäten im Bereich der Ferienwohnungsanbieter, das sind weniger als zehn pro Inspektor und Jahr. Wir haben uns gefragt, was die eigentlich machen. Die Erklärung ist simpel: Sie kümmern sich auch um Inspektionen in Hotels, bei Autovermietern und jeglichen Touristik-Unternehmen. Ferienwohnungen sind daher nicht ihr Hauptaugenmerk gewesen. Es gibt hier offenbar sowohl einen klaren Mangel an personellen Ressourcen als auch eine miserable Organisation. All das wussten wir nicht, wir mussten nachhaken und nachhaken. In gewisser Weise kam es uns vor, als gelte auf Mallorca die Omerta, ein Gesetz des Schweigens über die Blase der Ferienwohnungen. Doch konnten wir als Zivilgesellschaft das Schweigen brechen.

STANDARD: Was könnte Ihrer Ansicht nach eine nachhaltige Lösung für die Zukunft sein?

Valdivielso: Zu Oberst muss eine klar definierte Grenze stehen, wie viele Urlauber wir je nach Territorium, sprich je nach Insel, vertragen. Es muss es eine Reduktion des bestehenden Angebots geben, gekoppelt an eine massive Offensive gegen das illegale Angebot auf den Inseln.

STANDARD: Zumindest die gesamt-spanischen und regionalen Steuerbehörden gingen zuletzt schärfer gegen jene illegalen Angebote vor, mit Strafen von bis zu 3.000 Euro pro Ferienwohnung.

Valdivielso: Es gibt mehrere Formen des Steuerbetrugs, die mit Ferienwohnungen einhergehen. Was die Steuerbehörde verfolgt, ist in der Hand der Regierung Spaniens. Es gibt Strafen wenn Eigentümer ihre Mieteinnahmen nicht korrekt abführen. Diese Sanktion hat aber nichts damit zu tun, ob man diese jetzt als Ferienwohnung oder nicht anbietet. Darüber entscheiden die Steuerbehörden in den Regionen. Es gibt enorm viel Steuerbetrug. Auf den Balearen gibt es ja seit knapp einem Jahr eine durchaus demagogisch "Ökosteuer" genannte Abgabe, die de facto eine Tourismussteuer ist. Der Großteil der Ferienwohnungsanbieter zahlt freilich diese Abgabe nicht. Die Steuerbehörde Spaniens kann strafen, wenn man die Mehrwertsteuer, wie der überwiegende Teil, nicht bezahlt. Aber nicht, weil man die Wohnung Touristen anbietet. Hier fehlt es an einem Datenaustausch und Datenabgleich zwischen den Regionen und dem Staat.

STANDARD: Wie sehen Sie die Position des Hotelsektors in Sachen Ferienwohnungsplattformen?

Valdivielso: Die Untätigkeit des Tourismussektors in dieser Materie erstaunt. Es ist traurig, dass hier Umweltschutz-NGOs und die Zivilgesellschaft Alarm schlagen müssen. Und das schürt bei uns den Verdacht, dass die Tourismuswirtschaft vom Kuchen der Ferienwohnungen kräftig mitnascht. Sonst hätten sie längst eine Kampagne starten müssen und ihr Lobbying forciert. Aber das machen sie nicht. Sie machen wohl enorme Profite über die Plattformen. (Jan Marot, 14.4.2017)