Granateneinschläge wurden an einigen Stellen zu "Rosen von Sarajevo". Sie erinnern daran, dass an dieser Stelle Menschen getötet worden sind.

foto: thomas neuhold

April 2017: Zerschossene Häuserfassade nahe des Stadtzentrums von Sarajevo.

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Denkmal für die über 1300 während der Belagerung getöteten Kinder im Veliki Park.

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Militärfriedhof am Stadtrand von Sarajevo. Hier ist auch Kriegspräsident Alija Izetbegović begraben.

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Die Granate detonierte unmittelbar am Platz vor der katholischen Kathedrale im Zentrum Sarajevos. Sie riss mehrere Menschen in den Tod. Die Spuren des Einschlages sind noch heute deutlich zu sehen. Bewohner haben sie mit rotem Kunstharz ausgekleidet, um sie besser sichtbar zu machen und um so an die Toten zu erinnern.

An vielen zentralen Orten der bosnischen Hauptstadt markieren diese Mahnmale die Einschläge der Geschossse, die von den umliegenden Hügeln auf die umzingelte Stadt abgefeuert worden sind. Wegen ihrer blumenähnlichen Form nennt man sie in Bosnien "die Rosen Sarajevos".

Aufmerksame Reisende werden solche "Rosen" etwa auch am Ausgang jenes mit Schaufel und Spitzhacke gegrabenen Tunnels finden, der unter der Rollbahn des Flughafens durchführt. Er war jahrelang die einzige Verbindung der eingeschlossenen Stadt nach draußen. Heute können Teile des Tunnels besichtigt werden.

Kriegsspuren allerorts

Den Spuren des Krieges kommt man in Sarajevo nirgendwo aus. Auch wenn viele Schäden in der von K.u.K-Architektur über osmanische Reste bis hin zu realsozialistischen Bauten geprägten Stadtlandschaft bereits beseitigt sind, zerschossene Häuserfassaden, ja sogar Einschüsse in Mistkübeln zeugen von den Gräuel des Krieges, der erst 1995 mit dem Abkommen von Dayton sein Ende fand.

Gedenktafeln und Denkmäler finden sich in allen Stadtteilen. Sie haben den Tod bestimmter Personen – etwa der zwölfjährigen Nina, die als letztes Kind vor Kriegsende von einem Granatsplitter zerfetzt wurde – zum Thema oder erinnern an Kriegsverbrechen wie beispielsweise an die Markale-Massaker 1994 und 1995. Bei zwei Mörserangriffen auf den Markt von Sarajevo kamen 68 beziehungsweise 37 Menschen ums Leben.

Kinder als Opfer

Ein besonders bedrückendes Detail der Kriegserinnerungen ist das Schicksal der Kinder von Sarajevo. "Wir haben gelernt, am Klang der Detonation zu erkennen, um welche Waffe es sich handelt", erzählt Emina. Die Juristin war bei Kriegsbeginn zehn Jahre alt und konnte erst nach vielen Monaten im Luftschutzkeller durch den Tunnel aus der belagerten Stadt fliehen.

Wobei so manches Kind nicht "zufällig" von Granatsplittern getötet wurde. Viele wurden gezielt von einem Heckenschützen ("Snajper") ins Visier genommen. Der Bosnien-Krieg war ein Terror-Krieg gegen die Bevölkerung.

Heute erinnert im Veliki Park ein Glasmonument an die rund 1300 getöteten Kinder. Der Sockel wurde ausschließlich aus Granathülsen und -splittern hergestellt, die nach Kriegsende eingesammelt worden sind. Neben dem Monument finden sich bewegliche Rollen, auf denen die Namen der ermordeten Kinder eingraviert sind. Diese namentliche Aufzählung führt auch immer wieder zu leiser Kritik in Sarajevo. Kinder, die nach Kriegsende etwa durch Minen getötet worden sind, werden auf dem Denkmal nicht erwähnt.

Krieg im Museum

Wer sich genauer informieren will, für den gibt es gleich zwei empfehlenswerte Ausstellungen. Die erste findet sich im alten Rathaus, am Rand der Altstadt. In der Ausstellung zur Geschichte der Stadt finden sich alle wichtigen Stationen: Zentrale Themen sind neben dem Krieg 1992-1995 auch der Partisanenkampf und die Befreiung von der Nazi-Diktatur, das sozialistische Jugoslawien mit den Winterspielen 1984 sowie die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie 1914 als Anlassfall für den Beginn des Ersten Weltkrieges.

Den mühsamen und lebensgefährlichen Alltag der Zivilbevölkerung in der belagerten Stadt thematisiert die Dauerausstellung in einem Seitengebäude des Nationalmuseums von Bosnien und Herzegowina. In diesem historischen Museum wird an den Details die Grausamkeit des Krieges deutlich: Blutbefleckte Pullover ermordeter Kinder sind ebenso ausgestellt wie die selbstgebastelten Leiterwagerl, mit denen die Menschen Wasser holen mussten. Warnschilder warnen vor Heckenschützen, in einem eigenen Raum sind Fotos von Hinweisschildern für Luftschutzkeller gesammelt.

Wobei sich für den Mitteleuropäer plötzlich auch ungewohnte Perspektiven ergeben. Die hierzulande gängige Darstellung muslimische Verteidiger – serbische Angreifer entspricht nicht immer den Tatsachen. Mit Jovan Divjak hatte die bosnische Verteidigungsarmee einen serbischstämmigen General an ihrer Spitze. "Onkel Jovo" lebt immer noch in Sarajevo und ist ein Volksheld.

Tito-Kult

Nach dem Museumsbesuch lohnt ein Besuch des an der Rückseite des Historischen Museums gelegenen Cafe Tito. In dem gerade bei Jugendlichen besonders beliebten Treffpunkt wird – wie in vielen Teilen Bosniens auch – ein regelrechter Kult um Staatspräsident Tito betrieben. Hier wird freilich auch deutlich, wie weit man in Bosnien noch von einer echten Friedensgesellschaft und Friedenserziehung entfernt ist. Am de facto Kinderspielplatz auf den Flächen hin zum Fluss Miljacka dienen ausrangierte Panzer, Haubitzen und sonstiges Kriegszeug den Kleinen als Klettergerüst. (Thomas Neuhold, 16.4.2017)