Der Schweizer Marco Arturo Marelli zeichnet für Regie und Bühne der "Medea" von Aribert Reimann verantwortlich.

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Wien – Da ist sie wieder, die karge Einöde mit den schweren Felsbrocken: Aufenthaltsort von Medea, der emigrierten Königstochter aus Kolchis. Der schmucke Glaskubus des korinthischen Königs Kreon schwebt darüber wie ein Raumschiff, abgehoben, clean und kühl. Jason, Medeas griechischer Mann, will da rein, will nach der Flucht dazugehören zu der Herrschersippe. Aber Medea, die Fremde, passt sich nicht ausreichend an, passt da nicht dazu.

Es war eine kleine Sensation, als das Musiktheatermuseum Wiener Staatsoper zum Ende der Direktionszeit Ioan Holenders mit der Medea von Aribert Reimann einen jahrtausendealten Stoff in so richtig "zeitgenössischer" Weise zum Klingen bringen ließ. Der 1936 in Berlin geborene Komponist offeriert hierbei Klangmaterial, das zwischen Abstraktion und Archaik aufgespannt ist: helle, eckige, Akkordfolgen, die an eine Schnappschussserie von komplizierten geometrischen Figuren erinnern; tiefe Streicher und Blech, die schwarzgraues, geröllschweres Klanggewölk malen, über dem grelle Blitze zucken.

Reimanns Medea ist mehr Kammerspiel als große Oper, oft karge und gleichzeitig schwere Kost. Seine Musik gibt sich gern stachelig, spröde und sklerotisch; gleichzeitig lässt er die armen Sänger inflationär im Zick-Zack-Kurs ihren Stimmumfang ausloten. Dies ergibt ein Klangbild, das fallweise eindrücklich ist, oft aber auch verdammt nah dran an einer Karikatur von bemüht schräger, dauerexaltierter Neuer Musik.

Bei der Wiederaufnahme der Inszenierung von Marco Arturo Marelli bieten die Sänger durch die Bank beeindruckende Leistungen, allen voran Claudia Barainsky, die die Mörderpartie der Medea schlafwandlerisch sicher und sogar fast ein bisschen zu schön singt. Adrian Eröd gibt den Jason nobel und kraftvoll, muss nur am Ende Reimanns Radikalität Tribut zollen. Erstklassig auch Norbert Ernst als Kreon, Stephanie Houtzeel als porentief reines Prinzessinnenpüppchen Kreusa und Monika Bohinec (Gora). Unter Michael Boders kundiger Leitung steigert sich das Staatsopernorchester zu knallharter, schicksalsschwerer Dramatik. Beifall. (Stefan Ender, 10.4.2017)