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Die indische Regierung versucht erneut, den Ganges und den Jumana, seinen wichtigsten Nebenfluss, zu reinigen. In 118 Städten sollen dazu Kläranlagen errichtet werden.

Foto: AP/Altaf Qadri

An seiner Quelle im mächtigen Himalaja-Gebirge ist der heilige Fluss Ganges glasklar und rein – ebenso wie sein wichtigster Nebenfluss, der Jamuna. Doch sein Weg über 2600 Kilometer führt den indischen Fluss nicht nur durch die heilige Stadt Varanasi, wo gläubige Hindus ihre Asche in den Fluss streuen lassen. Er fließt auch durch Großstädte wie Kanpur und Patna, in denen giftige Industrieabfälle und Fäkalien in das Wasser gelangen. Pestizide aus der Landwirtschaft in Indiens größtem Bundesstaat Uttar Pradesh tragen zur Verschmutzung der Flüsse bei. Wenn der Jamuna die Hauptstadt Delhi durchquert hat, ist er tot. Kein Fisch lebt mehr in der giftigen Brühe.

Bereits 1985 startete die Regierung den "Ganga Action Plan" zur Rettung des Ganges. Doch geschehen ist seither wenig. Jetzt hat ein Gericht im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand einen neuen Weg eingeschlagen, um die heiligen Flüsse zu retten. Im März sprachen die Richter Rajeev Sharma und Alok Singh aus der Stadt Nainital "den Flüssen Ganges und Jamuna und allen ihren Nebenflüssen und -strömen" den Status von "juristischen/legalen/lebenden Entitäten" zu mit "demselben Status einer lebenden Person mit denselben Rechten und Pflichten, um die Flüsse Ganges und Jamuna zu schützen und zu bewahren".

Damit ist Indien das dritte Land weltweit, das nach Ecuador und Neuseeland Flüssen Menschenrechte gewährt. Doch Experten sind geteilter Meinung darüber, ob das Urteil letztlich helfen wird.

Täglich 1,5 Milliarden Liter Abwasser

"Es werden täglich 1,5 Milliarden Liter unbehandeltes Abwasser in den Ganges eingeleitet, davon 500 Millionen Liter Industrieabfälle", sagt Himanshu Thakkar von der Umweltschutzorganisation South Asia Network on Dams, Rivers and People. "All das wird mit dem Urteil mit sofortiger Wirkung illegal. Aber man kann die Einleitungen nicht plötzlich stoppen. Es ist unklar, wie sich das Urteil praktisch auswirken wird."

Eines haben die Richter bereits angeordnet: Drei Personen wurden als Vormünder für die Flüsse bestimmt – der Chef der Nationalen Mission für einen sauberen Ganges, der Generalanwalt und der Leitende Staatssekretär des Bundesstaats Uttarakhand. Außerdem muss innerhalb von drei Monaten ein Managementausschuss für den Fluss funktionsfähig sein.

Damit will das Gericht die Bundesstaaten Uttarakhand und Uttar Pradesh dazu zwingen, mit der Regierung in Delhi zu kooperieren. Seit Premierminister Narendra Modi 2014 ins Amt kam, hat die indische Regierung erneut eine Initiative zur Rettung des Ganges gestartet, mit dem ambitionierten Ziel, den Fluss bis 2018 sauber zu machen.

Uma Bharti, Ministerin für Wasserresourcen in Delhi, hat die Devise ausgegeben, dass bis dahin wieder "Flussdelfine, Schildkröten und Goldfische" im Ganges zu finden sein sollen. Zu diesem Zweck hat sich Neu-Delhi die Expertise der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit eingekauft. Zu den geplanten Maßnahmen gehören der Bau von Kläranlagen in 118 Städten entlang des Ganges und die Schließung von 48 Industriebetrieben. Doch Experten haben Zweifel daran, dass der Plan funktioniert.

"In Delhi gibt es bereits 22 Kläranlagen, aber keine funktioniert so, wie sie soll", sagt Himanshu Thakkar. "Was man braucht, ist ein einfaches Managementsystem für jede einzelne Kläranlage und unabhängige Kontrollen."

Vorreiter Neuseeland und Ecuador

Das komplexe Netz aus Föderalismus, Einzelinteressen und Korruption auf den verschiedenen Ebenen des indischen Regierungssystems dürfte es schwermachen, dem Richterspruch Geltung zu verschaffen.

Ökologen haben zudem weitergehende Bedenken. Radha Gopalan von der Food Sovereignity Alliance India weist darauf hin, dass in Neuseeland der Fluss Whanganui den Status einer Rechtsperson erhielt, nachdem die Maori, die Ureinwohner des Landes, 140 Jahre lang dafür gekämpft hatten. Als Ergebnis sei einer von zwei Vormündern des Flusses ein Vertreter eines Maori-Stammes.

Das Gericht, das 2008 in Ecuador als Erstes weltweit dem Fluss Vilcambamba Menschenrechte zusprach, ginge in seiner Begründung so weit, "Mutter Erde" und damit auch den Flüssen Rechte zuzuerkennen.

In Indien hingegen habe es keinerlei demokratische Beteiligung gegeben, vor allem nicht der Ureinwohner, der Adivasis. Und der Fluss werde weiterhin in Einheiten zerlegt, die besessen und verwaltet werden könnten.

"Im Anthropozän, wo der Mensch den Planeten beeinflusst wie nie zuvor, sollte das holistische Weltbild der Ureinwohner uns dazu bringen, über die Ausbeutung der Natur und der Menschen hinauszugehen", so Radha Gopalan. Das Urteil des Gerichts in Nainital sei eine "Chance zu einem weitergehenden Dialog". (Britta Petersen aus Neu-Delhi, 6.4.2017)