Aufräumen ist mit der Fähigkeit verbunden, Entscheidungen zu treffen. Messies können wichtig und unwichtig nicht mehr unterscheiden.

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Rainer Rehberger: "Selbsthilfe für Messies. Ursachen verstehen – Änderungen wagen". Klett-Cotta-Taschenbuch, Euro 18,50

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Das Licht im Frühling ist eine zweischneidige Sache. Die Sonne ist gut für die wintergeplagte Selbstwahrnehmung, sie ist aber auch entlarvend, wenn es um die Sauberkeit geht: schmutzige Fenster, staubige Regale, Krimskrams, alles kommt plötzlich ans Tageslicht. Insofern hat die Lust zum Frühjahrsputz also stark mit den eigenen Sinneseindrücken zu tun.

Für circa 30.000 Menschen in Österreich ist Aufräumen allerdings zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Sie gelten als Messies. "Die Haltung zu Ordnung ist individuell, deshalb ist die Grenze zwischen Schlampigkeit und einem krankhaften Zustand auch fließend", sagt die Psychotherapeutin Elisabeth Vykoukal, die seit vielen Jahren mit Messies arbeitet. Vielen Betroffenen fehlt die Krankheitseinsicht. Kinder, Angehörige oder Nachbarn werden zu Co-Abhängigen.

Eine Art Zwangsstörung

In der psychiatrischen Einordnung zählt das Messie-Syndrom zu den Zwangsstörungen, kann Aspekte von Depression, Sucht, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Perfektionismus zeigen. Vermüllung, so Vykoukal, sei nur dann ein Aspekt, wenn Schizophrenie oder Demenz die Ursachen von Verwahrlosung sind, "den meisten Messies merkt man außerhalb ihrer vier Wände wenig an", sagt sie.

Wie man das Messie-Syndrom erkennt: Wenn Stauraum nicht mehr reicht und der Bewegungsspielraum in der Wohnung stark eingeschränkt ist, wenn das Chaos dazu führt, dass man aus Scham Fremde nicht mehr nach Hause einlädt, oder auch wenn Dinge unwiederbringlich verlorengehen. "Viele nehmen sich vor aufzuräumen, schaffen es aber einfach nicht", berichtet die Psychotherapeutin.

Gefühl der Verlassenheit

Für den deutschen, auf Messies spezialisierten Psychotherapeuten und Buchautor Rainer Rehberger liegen dem Problem meistens frühkindliche Störungen zugrunde. Zu wenig elterliche Aufmerksamkeit, zu ordentliche bzw. strenge Mütter seien die häufigste Ursache, sagt er und nennt es eine "unerträgliche Verlassenheitserfahrung", die durch eine Form von Selbstzuwendung kompensiert wird.

Auch Trennungstraumata können ein Auslöser sein. "Menschen gehen, aber Gegenstände bleiben", bringt Vykoukal die vermeintlich rettende Idee des Hortens auf den Punkt. Deshalb sei es auch keine Lösung, sagt Rehberger, diesen Menschen beim Entrümpeln zu helfen, denn "die Trennung von jedem einzelnen Gegenstand, und sei es ein Stück Papier, lässt die Verlassenheitserfahrung neu aufleben."

Dieser innere Zusammenhang ist den Betroffenen in den seltensten Fällen bewusst – und weil die Erfahrungen oft sehr früh in der Kindheit gemacht wurden – auch über Gespräche nur sehr schwer erreichbar. "Trennung ist ein sehr körperliches Gefühl", so Vykoukal und über das Mittel der Sprache nur mit viel Geduld überhaupt zu erreichen.

Menschen gehen, Dinge bleiben

Von "Gegenwilligkeit", spricht Rehberger, der beobachtet hat, dass viele Messies einfach weghören, wenn jemand das Ordnungsproblem ansprechen will. Gegenwilligkeit ist ein frühkindlicher Mechanismus der Abwendung, der sich in der Psychostruktur von Betroffenen festgesetzt hat. Das Gefühl, etwas machen zu müssen, lähmt sie, lässt sie unzählige Vorwände finden, sich der Aufgabe nicht zu stellen.

"In der Psychotherapie geht es darum, eine sichere, tragfähige Bindung aufbauen und erlebbar werden zu lassen", sagt er, "eine Beziehung, in der das Weghören und das Etwas-nicht-Machen akzeptiert ist."

Worüber sich die Experten einig sind: "Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass man es wegtherapieren kann", sagt der Wiener Psychotherapeut Alfred Pritz, und auch Elisabeth Vykoukal weiß, dass man sich während einer Therapie ähnlich wie bei Suchtkranken auf die Bewältigung der vielen Rückschläge einstellen muss. Und gut ist, wenn sich Betroffene und ihre Angehörigen Know-how in Selbsthilfegruppen holen, "oft erkennen Messies das Problem, wenn sie anderen Messies helfen", weiß Vykoukal aus der Arbeit mit Messie-Selbsthilfegruppen.

Helfende Hände

In seltenen Fällen können Messies auch Hilfe von außen annehmen – etwa die von Ordnungsberaterin Katrin Miseré, die Menschen mit ihrem Service "Katrin schafft Platz" beim Aufräumen unterstützt. Ihre Kunden: zwischen 40 und 65 Jahren. "Manchen fehlt die Energie zum Aufräumen, manche wollen die verschiedenen Räume in der Wohnung wieder so nutzen können wie früher, einigen fehlt schlicht eine Struktur für Ordnung", umreißt sie ihre Tätigkeit. Ordnung machen bedeute ja im Endeffekt Entscheidungen zu treffen, so Miseré.

Ihre Arbeit als Beraterin habe deshalb auch mit Vertrauen zu tun. Und ja, Aufräumen ist anstrengend. Warum sie selbst es schön findet: Weil Ordnung Platz für neue Gedanken schafft. (Karin Pollack, 1.4.2017)

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