"Der Dokumentarfilm "Tiere und andere Menschen" beobachtet das Leben im Wiener Tierschutzhaus.

Foto: La Banda Film

Graz – Wer die von der Diagonale bespielten Grazer Kinosäle betritt, möchte an der Popularität des österreichischen Films kaum zweifeln. Die Nachmittagsvorstellungen sind sehr gut besucht, bei den Abendterminen ist mit ausverkauften Vorführungen zu rechnen. Man könnte also meinen, dass das die Diagonale begleitende Sonderprogramm mit dem schelmisch fragenden Titel Wen interessiert's? über Popularität und Potenzial des heimischen Films im eigenen Land gar nicht nötig wäre. Stimmt aber nicht.

Denn viele Arbeiten, für die man sich hier um Restkarten anstellen muss, finden wenige Wochen später beim Kinostart oft nur wenige Tausend Besucher. An der Frage nach zielsicheren Formen in der Verwertung kommt man also auch in Graz bei Diskussionen und Branchentreffen nicht vorbei. Was die ersten Festivaltage bisher aber auch wieder zeigten, ist die Notwendigkeit der Vielfalt, auf die die österreichische Kinolandschaft angewiesen ist und für die es eben nicht nur politischen und finanziellen Rückhalt, sondern auch eine aktivere Form der Publikumspflege braucht.

Der traditionell starke Dokumentarfilm machte jedenfalls bereits mit etlichen Premieren auf sich aufmerksam. So zum Beispiel mit Seeing Voices, in dem Dariusz Kowalski gehörlose Menschen in ihrem Alltag begleitet. Kowalski nähert sich seinen charismatischen Protagonisten über die jeweiligen Institutionen, in denen für sie entscheidende Fragen zu klären sind: im Krankenhaus jene nach dem Implantat für das Neugeborene, im Berufsbildungskurs jene nach der richtigen Ausbildungsstätte, im Parlament die nach Chancengleichheit.

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Nicht belehrend, dafür einfallsreich untersucht Kowalski das Zusammenspiel von Medizin, Pädagogik und Politik anhand der sichtbaren Anstrengung um die Akzeptanz der Gebärdensprache als vollwertige Muttersprache.

Garderobenphilosophen

Noch stärker als Kowalski vertraut indes Pavel Cuzuioc in Secondo Me auf seine Protagonisten. Den Alltag der drei Garderobenmitarbeiter, die sich in Wien, Mailand und Odessa der Mäntel der Opernbesucher annehmen, verbindet dieser Film zu einer losen Trilogie über die Zeit und das Warten. Auch wenn Cuzuioc mitunter die Präzision fehlt, werden in den besten Momenten die Garderoben zu Philosophierstuben.

Pavel Cuzuioc

Das Verhältnis von Tier und Mensch steht im Mittelpunkt eines Institutionenfilms von Flavio Marchetti. Der Absolvent der Wiener Filmakademie sammelt in Tiere und andere Menschen Eindrücke aus dem Wiener Tierschutzhaus, wobei die Mannigfaltigkeit der dort behandelten Arten weit über das gemeine Haustier hinausreicht. Neben Hund und Katz' kommen etwa Schlange und Schwan genauso wie Schimpanse und Papagei die Hände der Veterinärmediziner zu Hilfe. Marchetti folgt weniger internen Abläufen, vielmehr fokussiert er auf der Beziehung zwischen Mensch und Tier, auf Momentaufnahmen, die den Protagonisten immer wieder originelle Ansichten abgewinnen.

Auch in Ivette Löckers Was uns bindet geht es um eine Nähe, die man aus der Verschiebung der Perspektive gewinnt. Die Filmemacherin porträtiert ihre Eltern, die im selben Haus – er unten, sie oben – leben, obwohl sie seit 20 Jahren keine Ehe mehr führen. Löckers Blick auf diese mitunter haarsträubende Zweckgemeinschaft ist schmerzhaft, aber nicht vorwurfsvoll, vielmehr voll indirekter Zärtlichkeit. Damit gelingt ihr eine Gratwanderung. Sie verurteilt ihre Eltern nicht, zeigt aber den Preis auf, den sie für ihren Kompromiss zahlen müssen. (Michael Pekler, Dominik Kamalzadeh, 31.3.2017)