Bundeskanzler Christian Kern will "pro-europäisch" gegen die Umverteilung sein.

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Wien – Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) macht den Streit über Österreichs Rolle im Relocation-Programm für Flüchtlinge nun zur Chefsache. In einem Statement nach dem Ministerrat erklärte er, rasch einen Brief nach Brüssel schreiben zu wollen, in dem er um Verständnis für Österreichs Position werben will, keine Flüchtlinge aus dem Umverteilungsprogramm aufzunehmen.

Österreich wäre verpflichtet, knapp 2.000 Flüchtlinge aus Griechenland beziehungsweise Italien im Rahmen des Umverteilungsprogramms aufzunehmen. Kern glaubt, dass Österreich diese Zahl durch illegale Übertritte quasi indirekt schon erfüllt hat. Davon will er Brüssel nun überzeugen. Dabei sei ihm bewusst, dass das schwierig werde.

Tatsächlich sieht der Beschluss des EU-Rates über die Aussetzung der Umsiedlungsregelung für 30 Prozent der Flüchtlinge im Rahmen der Umverteilung keine Ausnahmeverlängerung für Österreich vor. In dem Dokument vom 10. März 2016 heißt es, die Aussetzung sei angesichts der Lage in Österreich eine "ausreichende und verhältnismäßige Maßnahme", eine "Verlängerung der Frist wäre nicht gerechtfertigt".

Kanzler: "Keine Agents provocateurs"

Vom Kanzler wurde indes klargestellt, dass er es nicht auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich anlegen wolle: "Wir sind keine Agents provocateurs." Die nun gewählte Vorgangsweise nannte der Kanzler gar "proeuropäisch". Grundsätzlich sei er auch der Meinung, dass man europäische Verpflichtungen wahrnehmen müsse, denn man profitiere auch immens von der europäischen Zusammenarbeit.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), der sich grinsend quasi hinter Kern für sein Statement anstellte, sieht wenig Erfolgschancen für den Kanzler, Brüssel überzeugen zu können: "Ich glaube nicht, dass das gelingen kann." Im Wesentlichen sieht der ÖVP-Chef bei der Debatte ohnehin nur eine SPÖ-interne Diskussion zwischen Bundeskanzler und Verteidigungsminister. Seitens der ÖVP habe der Innenminister nichts anderes getan, als darauf zu verweisen, dass es entsprechende Beschlüsse gebe, die eben umzusetzen seien.

ÖVP gegen "Kasperltheater"

ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter hat den Koalitionspartner SPÖ am Dienstag vor dem Ministerrat für ein "massives Kasperltheater" kritisiert. "So machen wir uns lächerlich", sagte Rupprechter zu dem gestrigen Richtungsschwenk in der Frage der Flüchtlingsumverteilung in Europa. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) habe "von meiner Seite vollste Unterstützung".

"Es sei klar, wer hier die Position gewechselt hat, so Rupprechter in Richtung Bundeskanzler Kern. Er verwendete für den Meinungsschwenk den französischen Begriff "tourner le cou", was auf Deutsch so viel wie "Wendehals" heißt. Als Nächstes müsse man Sanktionen für Österreich fordern, wie es zuletzt Kern für Polen gemacht hätte.

ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka verwies darauf, dass Österreich im Rat dreimal zugestimmt habe, das letzte Mal Ende 2016. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wollte sich zum Streit um die Relocation vor dem Ministerrat gar nicht äußern.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) meinte, die Standpunkte seien nun angeglichen, man sei in der Koalition inhaltlich einer Meinung, und Österreich wolle weiterhin eine Ausnahme aus dem Relocation-Programm. Der EU-Beschluss sehe eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa vor und, in diesem Sinne sei ein Ausnahme für Österreich gerechtfertigt, da Österreich überbelastet sei. Einen Streit in der Koalition sieht Doskozil nicht. Es sei ein wichtiges Thema, über das inhaltlich diskutiert werde.

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder verwies ebenfalls auf die Verantwortung, die Österreich in der Flüchtlingskrise trage, der Schwenk vom Montag habe ihn nicht verwirrt. Der gestrige Tag sei nicht konfus gewesen, im Gegensatz zum Wochenende, das wegen der Zeitumstellung sehr konfus gewesen sei, da es den Biorhythmus durcheinandergebracht habe.

Opposition kritisch

In einer Pressekonferenz am Dienstag sprach sich FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache gegen eine Aufnahme jener 50 aus Italien kommenden minderjährigen Flüchtlinge aus, die Österreich in einem ersten Schritt aus dem EU-Relocation-Programm übernehmen soll. Er sage hier "grundsätzlich Nein", betonte er.

Für Grünen-Chefin Eva Glawischnig ist die SPÖ-Haltung "absolut inakzeptabel" – habe Österreich doch lange Druck für eine EU-Lösung gemacht. Sie sieht darin – neben etwa der Kürzung der Familienbeihilfe für EU-Bürger – einen weiteren Puzzlestein für die Strategie der gesamten Regierung, mit EU-Kritik und Entsolidarisierung FPÖ-Wähler zu gewinnen. "Dieses Spiel führt aber in eine Sackgasse", richtete sie unter Hinweis auf den Brexit eine "dramatische Warnung" an SPÖ und ÖVP.

Neos-Obmann Matthias Strolz hält einen Ausstieg Österreichs aus dem Flüchtlingsumverteilungsprogramm der EU laut eigener Aussage für falsch. "Ich habe Verständnis für nationale Notlösungen", sagte er am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Allerdings müsse man dann auch europäische Ansätze vorantreiben. Strolz sieht im geplanten Ausstieg eine "weitere Eskalationsstufe". (APA, 28.3.2017)