In den Niederlanden als Retter hoch gehandelt: Altmeister Louis van Gaal.

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Wien/Amsterdam – Nach der Entlassung von Danny Blind als niederländischer Teamchef am Sonntag beschäftigt sich die orange Fußballnation seither mit Verve mit der Nachfolgefrage. Der Verband KNVB gab bekannt, sich bis Juni mit einer Entscheidung Zeit lassen zu wollen – das scheint das Namenskarussell erst recht in Schwung gebracht zu haben.

Blind, der in der Öffentlichkeit viel Kredit verspielt hatte, ging übrigens nicht selbst. Die Entlassung nach eineinhalbjähriger Amtszeit durch den KNVB brachte dem 55-Jährigen nach der Quälerei der vergangenen Monate laut "Telegraaf" immerhin ein finanzielles Trostpflaster von 400.000 Euro. In den 17 Spielen unter der Leitung Blinds gelangen bei ebenso vielen Niederlagen nur sieben Siege. Von neun Qualifikationsspielen für EM oder WM wurden fünf verloren. Dem Trainer stand allerdings auch keine herausragende Spielergruppe zur Verfügung. Als Weltklasse können derzeit nur die alternden Stars Arjen Robben und Wesley Sneijder gelten. Blind setzte in typisch holländischer Manier deshalb auf die Jugend. Ausgerechnet der 17-jährige Debütant Matthijs de Ligt (Ajax) patzte in Bulgarien beim ersten Gegentor allerdings entscheidend.

Dem neuen Mann steht somit eine herausfordernde Aufgabe bevor, droht die niederländische Elf nach der EM 2016 doch auch die WM in Russland zu verpassen. Nach dem peinlichen 0:2 in Bulgarien am Samstag ist man in der Qualifikationsgruppe A auf Platz vier abgerutscht, auf Tabellenführer Frankreich fehlen sechs Punkte. Das nächste Match gegen Luxemburg (9. 6.) muss folglich auf jeden Fall gewonnen werden.

Adriaanse: Van Gaal der Beste

Für Co-Trainer Adriaanse, ehemaliger Coach von RB Salzburg, ist die beste Antwort auf die Nachfolgefrage ein alter Bekannter: "Louis van Gaal ist mit Abstand der beste niederländische Coach", sagte Adriaanse im niederländischen Fernsehen. Unter van Gaal (65) habe das Team das letzte Mal erfolgreich gespielt (Platz drei bei der WM 2014), er sei der Einzige, der sofort etwas bewegen könne. Van Gaal "hat sich überall bewiesen, in allen Ländern, bei allen Klubs und auch bei Oranje", so Adriaanse. In dasselbe Horn bläst offenbar auch Volkes Stimme: "Louis ist einfach der Beste, der rumläuft", hieß es vonseiten der Supporter-Vereinigung am Montag. Bekanntermaßen kann der Mann, den man auch die "Eiserne Tulpe" nennt, besonders gut mit jungen, eher unerfahrenen Spielern. Außerdem wäre van Gaal, der nach dem Aus bei Manchester United derzeit ein Sabbatical verbringt, sofort zu haben und könnte schon am Dienstag beim Testmatch gegen Italien einsteigen. Auch eine Beraterrolle für LVG scheint denkbar.

Für einen weiteren immer wieder genannten Kandidaten gilt das nicht. Ronald Koeman steht bei Everton noch unter Vertrag bis 2019 und arbeitet in England höchst erfolgreich. Koeman, der als Spieler mit der Elftal 1988 Europameister wurde, hatte 2013 eine Rolle als Assistent von Guus Hiddink abgelehnt. Der 54-Jährige war damals der Meinung, dass der KNVB einen Generationswechsel vollziehen sollte – und sah sich selbst in der Position des Chefs. Der Job ging somit an – Danny Blind.

De Boer nur national top

Ebenfalls häufig genannt: Frank de Boer. Der 46-Jährige ist nach seiner Entlassung bei Inter Mailand frei. Der Exteamspieler feierte als Trainer große Erfolge mit seinem Stammklub Ajax Amsterdam, unter anderem gewann er mit den Hauptstädtern viermal den Meistertitel. Auf internationalem Parkett hat sich de Boer allerdings noch nicht beweisen können, sein Engagement in Italien endete rasch und enttäuschend. Das "Dagblad" hält de Boer für den Topfavoriten. Und das, obwohl er sich während seiner Zeit bei Ajax "vom Idealisten zum Realisten" entwickelt habe. Sein Fußball sei dadurch manchmal arg risikoscheu geworden. Adrett, aber tendenziell langweilig. Gertjan Verbeek, Trainer des deutschen Zweitligisten VfL Bochum, hält de Boer zwar für eine gute Lösung, jedoch: "Ich glaube nicht, dass er einsteigt."

Adriaanse ventiliert auch eine Kuriosität als mögliche Option: nämlich das Duo Henk ten Cate und Ruud Gullit. Während der erfahrene ten Cate (62) den Chef und Taktiker geben soll, wäre Gullit quasi als Stimmungskanone vorgesehen. Adriaanse: "Gullit is ein Aushängeschild, sympathisch und hätte wohl einen guten Draht zu den Spielern." Ten Cate hat in seiner langen Karriere als Trainer allerdings nicht unbedingt eine entsprechende Latte an Erfolgen vorzuweisen. Am ehesten wären hier zwei Meistertitel sowie der Gewinn der Champions League mit dem FC Barcelona zu nennen, wo er zwischen 2003 und 2006 als Assistent von Frank Rijkaard werkte. Mit absolutem Spitzenfußball hatte ten Cate bei seinen Stationen in China, Arabien und Sparta Rotterdam zuletzt aber nichts mehr zu tun.

Stevens: Probleme gehen tiefer

Alte Männer wie den ewigen Dick Advocaat, Hiddink oder sich selbst will Adriaanse nicht mehr auf der Oranjebank sehen. Obwohl er für einen Niederländer als Teamchef plädiert, lässt er zumindest einen ausländischen Außenseiter gelten: Roger Schmidt, unlängst bei Bayer Leverkusen verabschiedet. Ebenfalls wenig wahrscheinlich, aber doch genannt: Michel Preud'homme, ehemaliger belgischer Weltklassekeeper (derzeit erfolgreicher Coach von Club Brügge), sowie Philip Cocu (2014/15 und 2015/16 niederländischer Meister mit der PSV Eindhoven).

Huub Stevens, ein weiterer Ex-Salzburger, ortet viel tiefergehende Probleme im niederländischen Fußball. Mit einem Trainerwechsel sei es mitnichten getan, das gesamte Ausbildungssystem müsse überdacht werden. "Ich habe schon nach der EM gesagt, dass es für Oranje schwer wird, sich zu qualifizieren. Jetzt ist es eine höllische Aufgabe geworden", sagte Stevens dem "Algemeen Dagblad".

Er schlägt vor, beim KNVB einen Sportdirektor zu installieren. Die ideale Besetzung: Louis van Gaal. Seine Verantwortung wäre es dann auch, einen neuen Bondscoach zu scouten. Für Stevens ist ein Ausländer durchaus denkbar, aber in einem solchen Fall wäre "ein starker Sportdirektor" umso nötiger. Als ihm der Name Ralf Rangnick hingeworfen wird, meint Stevens: "Ich glaube nicht, dass die Niederlande etwas für ihn sind. Ralf macht es gut in Leipzig, das gibt er nicht auf." (Michael Robausch, 27.3. 2017)