Die Mitglieder von "Ich bin hier" setzen sich für respektvollen Umgang in Online-Diskussionen ein.

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Hass im Netz ist ein Dauerthema. Egal ob tagespolitische Debatten, Artikel zur Flüchtlingssituation oder Beiträge zu Geschlechterrollen und Gleichberechtigung – nicht selten entwickeln sich die Nutzerdiskussionen dazu in eine hitzige Verbalschlacht. Beleidigungen, Pauschalurteile und nicht belegbare Behauptungen inklusive.

Eine Problemsituation, die mittlerweile verstärkte Aufmerksamkeit in der Politik genießt und auch von Plattformbetreibern wie Facebook vermehrt in Angriff genommen wird. Doch auch manche Nutzer bleiben nicht untätig, wie die Initiative "Ich bin hier" aufzeigt. Mitglieder einer bereits 26.000 Mitglieder starken Facebook-Gruppe arbeiten an der "Rückeroberung der Kommentarspalten", wie ihr Gründer Hannes Ley gegenüber dem "Spiegel" verrät.

Mit Sachlichkeit gegen Entgleisungen

Das Projekt des 43-jährigen Hamburgers versteht sich als eine Art Entschärfungsdienst für Online-Diskussionen. Mitglieder der Gruppe schalten sich in hitzige Debatten ein und versuchen, sachliche Gegenpositionen zu liefern.

Ihre eigenen Kommentare markieren die User dabei mit dem Hashtag #ichbinhier. Das ermöglicht auf vielen Netzwerken, insbesondere Facebook, die schnellere Auffindbarkeit. Dabei sind die Teilnehmer auch aufgerufen, sich gegenseitig beizustehen. Um die eigenen Beiträge sichtbarer zu machen und Mitgliedern, die von Hasspostern angegriffen werden, zu bestärken, schenkt man sich für die eigenen Wortspenden "Likes".

Facebook sortiert Kommentare mit vielen virtuellen Zustimmungserklärungen nach oben. Ein Prinzip, das auch von Trollnetzwerken schon länger genutzt wird.

Zeichen für die "Unentschlossenen"

Ley und seiner Gruppe geht es dabei nicht darum, die Verfasser bösartiger Kommentare umzustimmen. "Wir zielen auf die vielen stillen Mitleser ab, die Unentschlossenen", sagt er dem "Spiegel". Diese sollen sehen, dass auch ein respektvoller Umgang im Netz möglich ist, auch wenn man die Meinung des Gegenübers nicht teilt.

Dass Hasspostings zur Normalität werden, will er nicht hinnehmen. Er spricht von praktizierter "Gegenrede". Beruflich ist er als Kommunikationsberater tätig, nach eigenen Angaben investiert er täglich sechs bis acht Stunden in den Kampf für ein besseres Diskussionsklima.

Suche nach "Triggerthemen"

Ley schätzt den Anzahl der regelmäßig aktiven Mitglieder auf 50 bis 100, dazu kommen 300 bis 500, die zumindest hin und wieder sachlich in Debatten eingreifen. Rund 5.000 Teilnehmer unterstützen regelmäßig mit ihren "Likes".

Die Teilnehmer konzentrieren sich dabei auf die Seiten und Social Network-Präsenzen reichweitenstarker deutscher Medien. Unter besonderer Beobachtung stehen "Triggerthemen" – etwa Flüchtlinge oder Russland. Findet ein Moderator eine besonders "vergiftete" Debatte, wird mit einem Link dorthin zur Teilnahme gerufen.

Dabei gibt es auch ein paar Regeln. Mitglieder sollen etwa Angriffe auf einzelne politische Parteien unterlassen. User, die sich selber im Ton vergreifen, werden intern gerügt. Immer wieder wird auch innerhalb der Gruppe über die eigene Mission und die Art und Weise des Vorgehens debattiert – allerdings stets gesittet.

Von Facebook enttäuscht

Das Vorbild für die Aktion kommt aus Schweden, wo die Journalistin 2016 die Gruppe "Jag är här" ins Leben gerufen hat – sie hat ihren Segen für den deutschen Ableger gegeben.

Sein Einsatz hat Ley auch schon ins europäische Facebook-Hauptquartier nach Dublin geführt. Dort nahm er an einer Diskussion zu digitaler Zivilcourage teil. Vom Netzwerk zeigt er sich allerdings enttäuscht. Das Unternehmen würde von den eigenen Erfolgen schwärmen, das Problem aber in Wahrheit nicht ernst nehmen. Auch der deutschen Politik attestiert er "Lahmarschigkeit" in ihrem Vorgehen gegen Hass im Netz. (red, 26.03.2017)