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Keep calm and carry on: London nach dem Terror.

Foto: REUTERS/Eddie Keogh

Ruhe bewahren. Normal weiterleben. Business as usual. Noch am Mittwochabend appellierten der Londoner Bürgermeister und die Premierministerin an die Bürger der britischen Hauptstadt. Die beruhigenden Worte waren willkommen, aber kaum nötig. Wie in Paris, Brüssel und Berlin demonstrierten auch viele Bewohner der 8,5-Millionen-Einwohner-Stadt durch ganz schlichte Gesten: Terrorismus, gleich welcher Spielart, kann Menschen töten, aber nicht auf Dauer freiheitliche Gesellschaften unterminieren.

Was bedeutet Normalität? Es wird am Tag der Mordattacke von Westminster gewiss Tausende von Londonern gegeben haben, die stillschweigend ihren Tagesablauf änderten, Konzert- oder Theaterbesuche absagten, sich stattdessen um die eigene Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Familie kümmerten. Haben sie damit dem Terrorismus nachgegeben? Andere gingen aus, als sei nichts gewesen, nahmen an Chorproben teil oder spielten Fußball, trafen sich mit Freunden auf ein abendliches Pint im Pub. Sind sie deshalb Helden? In einer Millionenstadt hat Normalität viele Facetten.

Es gab wenige Stunden nach dem Mordanschlag eines Mannes mit brauner Hautfarbe und dem Bart eines Gläubigen jene Ideologen beider Seiten, denen kein Anlass, und sei er noch so traurig, zu schade ist, um der Öffentlichkeit ihre vorgefassten Meinungen mitzuteilen. Linke Polizeiskeptiker zogen die polizeiliche Einstufung der Attacke als Terrorismus in Zweifel: Man dürfe nicht vorschnell urteilen. Dass die Ermittler binnen weniger Minuten Einzelheiten über die Person des Straftäters wussten, diese aber aus sehr vernünftigen ermittlungstaktischen Gründen nicht mitteilten, kam den Wichtigtuern nicht in den Sinn.

Kleingeld

Rechte Islamhasser nutzten die Gelegenheit, eine Weltreligion in den Schmutz zu ziehen, weil sich kleine Gruppen mordender Fanatiker auf den Islam berufen. Dass Millionen von Gläubigen mit Gewalt nichts zu tun haben wollen, dass der britische Muslimenrat noch am selben Abend die Attacke scharf verurteilte, verschwiegen die Scharfmacher.

Dass die beiden Extreme zu Wort kamen, stellt in sich einen Sieg dar für die freiheitliche Demokratie, welche die Terroristen verachten. Die eigene Meinung im Rahmen der Menschenwürde und des guten Geschmacks frei zu äußern, und sei sie noch so dämlich – genau das kennzeichnet die offene Gesellschaft. Repräsentativ für die große Mehrheit der Bevölkerung in London und anderswo sind die ideologischen Windbeutel aber nicht.

Die Londoner Terrorattacke ruft uns in Erinnerung, wie kostbar Demokratie und Rechtsstaat sind. Wir verteidigen diese Errungenschaft der Aufklärung, jede und jeder auf ihre und seine Weise – durch die Sorge um die Familie, durch das unbekümmerte Feiern im Pub, durch den Fortgang unserer je eigenen Normalität. (Sebastian Borger aus London, 23.3.2017)