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Die Farben des Regenbogens erleuchten das Brandenburger Tor in Berlin. Am Mittwoch brachte die deutsche Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg, das jene Homosexuellen rehabilitiert, die wegen ihrer sexuellen Neigung aufgrund des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches verurteilt worden waren.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

Es gibt den "175er", wie der berüchtigte Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches genannt wurde, nicht mehr. Aber er wirkt immer noch nach, denn er stellte bis zum Jahr 1994 in Deutschland sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe, und viele Betroffene leben noch.

Am Mittwoch hat die deutsche Regierung beschlossen, diese nach dem "175er" Verurteilten zu rehabilitieren. "Wir werden erlittenes Unrecht nicht gutmachen können, aber wir wollen ein Zeichen setzen, dass der Rechtsstaat in der Lage ist, Fehler zu korrigieren. Die verurteilten homosexuellen Männer sollen nicht länger mit dem Makel der Verurteilung leben müssen", sagt Justizminister Heiko Maas (SPD), dessen Haus für den Entwurf verantwortlich ist.

Nur Männer betroffen

Der Paragraf 175 hat eine lange Geschichte. Er regelte ab dem 1. Jänner 1872 im Reichsstrafgesetzbuch die Bestrafung der "widernatürlichen Unzucht" zwischen Männern. Die Nazis übernahmen und verschärften ihn, er fand aber nach 1945 auch Eingang in das bundesdeutsche Strafgesetzbuch und in jenes der DDR.

Frauen waren nicht betroffen, sondern nur Männer. Warum, das hat 1957 das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klargestellt: Es sei nämlich der homosexuelle Mann, der dazu neige, "einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen". Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht davon aus, dass in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1969 rund 50.000 Männer verurteilt wurden, bis zum Jahr 1994, als der "Schwulenparagraf" abgeschafft wurde, noch einmal 3500. In der DDR fiel der Paragraf schon 1968, bis zu diesem Jahr gab es 4000 Verurteilungen.

3000 Euro für jedes Urteil

Das Gesetz, das die Regierung nun auf den Weg gebracht hat, sieht vor, alle Urteile pauschal aufzuheben. Betroffene sollen für eine Verurteilung 3000 Euro bekommen und 1500 Euro zusätzlich für jedes angefangene Jahr "erlittener Freiheitsentziehung" erhalten. Im deutschen Justizministerium geht man davon aus, dass es noch rund 5000 Anspruchsberechtigte gibt.

Um den Gesetzesentwurf war lange gerungen worden, denn auch in der großen Koalition gab es Zweifel, ob man Urteile, die früher gesetzeskonform waren, einfach aufheben könne – auch wenn Mass von "Schandtaten des Rechts" sprach. Doch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfahl dann in einem Gutachten ein Aufhebungsgesetz, um den Betroffenen mühsame und möglicherweise entwürdigende Einzelfallprüfungen zu ersparen.

Ausnahmen bei Gewalt

Von der Rehabilitierung ausgenommen sind sexuelle Handlungen, die unter Nötigung, Gewalt oder Ausnutzung von Abhängigkeiten vorgenommen wurden. Die Aufhebung von Verurteilungen hat der Bundestag übrigens schon einmal beschlossen. Aber damals – im Jahr 2002 – waren damit nur die Urteile aus der Zeit des Nationalsozialismus gemeint.

In Österreich war jegliche homosexuelle Handlung bis 1971 mit Strafe bedroht. Der entsprechende Paragraf 129 I b ("Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts") wurde unter der SPÖ-Minderheitsregierung mit Justizminister Christian Broda aufgehoben.

Anlässlich der Rehabilitierung in Deutschland fordert nun der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser ein Gesetz auch für Österreich und sagt zum STANDARD: "Aus heutiger Perspektive ist klar, dass den Betroffenen Unrecht widerfahren ist. Zudem hatten sie unter finanziellen wie sozialen Konsequenzen zu leiden." (Birgit Baumann aus Berlin, 22.3.2017)