Skelette aus dem Hamam vom Ayasuluk in Selçuk in der Türkei: Biologische Funde können bei vielen Studien über das Leben und Leiden der Menschen helfen.

Foto: ÖAI / Niki Gail

Wien – Die Verwesung ist zum Glück nicht allmächtig. Möge das Fleisch oft schon nach Monaten restlos verfaulen, Knochen und andere Körperbestandteile bieten dem Verfall bekanntlich viel länger die Stirn. Nicht selten überdauern sie Jahrhunderte oder gar Millennia. Je härter das Material, aus dem die Überreste bestehen, desto langsamer meist die Zersetzung. Letztere wird übrigens zum größten Teil von Bakterien und Pilzen bewirkt. Ihnen dient Totes zur Speise. Die Erhaltung eines Kadavers oder eines Stückes Holz hängt deshalb auch von Umweltbedingungen wie Feuchtigkeit und Sauerstoffzufuhr ab. Ohne Wasser kann kein Mikroorganismus gedeihen.

Für Michaela Binders Arbeit spielt all dies eine zentrale Rolle. Die Wissenschafterin ist am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften tätig und forscht dort an Skeletten, aber auch an Mumien. Ihre Studien sollen neue Einblicke in das Leben der Menschen in früheren Gesellschaften ermöglichen. Binder gehört somit zur wachsenden Zunft der Bioarchäologen.

"Wir untersuchen biologische Überreste mit naturwissenschaftlichen Methoden, um archäologische, umwelt- und kulturwissenschaftliche Fragen zu beantworten", sagt die Expertin. Knochen liefern Hinweise auf Krankheiten, der Inhalt von Latrinen auf die Essgewohnheiten, und mithilfe von Pollenkörnern lassen sich menschengemachte Veränderungen in der Vegetation einer Landschaft nachvollziehen. "Viele dieser Analysen sind nichts Neues", sagt Binder. Man habe sie jedoch lange bei den Naturwissenschaften "ausgelagert". Eine unnötige Trennung.

Expertenkonferenz

Damit soll nun Schluss sein. Das ÖAI feiert in dieser Woche die Einrichtung eines eigenen Departments für Bioarchäologie. Zur Eröffnung findet am Donnerstag, den 23. März, im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein Symposium statt. Fachleute aus dem In- und Ausland stellen dabei ihre Projekte vor. So erforscht zum Beispiel Ferran Antolín von der Universität Basel das archäobotanische Material der Ausgrabung Zürich-Parkhaus Opéra. Am Nordufer des Zürichsees siedelten während des Neolithikums Menschen in Pfahlbauten. Die Häuser standen im Flachwasser, an dessen Boden sich stetig Sedimente ablagerten. Dieser Schlamm beherbergte unter anderem allerlei Samen, Obstkerne und sogar verkohltes Fruchtfleisch – Speisereste der früheren Bewohner.

Antolín und seine Kolleginnen kategorisierten die insgesamt mehr als 80.000 pflanzlichen Fundstücke aus einer gut 5100 Jahre alten Schicht. Den Untersuchungsergebnissen nach nahmen Wildgewächse auf dem Menu der Ur-Zürcher eine durchaus wichtige Position ein. Am häufigsten vertreten waren Haselnüsse und wilde Äpfel beziehungsweise Birnen (vgl.: Quaternary International, Bd. 404, S. 56). Auch Eicheln kamen offenbar häufig auf den Tisch. Ersten Hochrechnungen zufolge könnten gesammelte Nüsse und Wildfrüchte bis zu 15 Prozent des Kalorienbedarfs gedeckt haben. Eine solche Zahl wirft ein interessantes Licht auf die regionale Bedeutung der jungsteinzeitlichen Landwirtschaft. Vielleicht spielte sie für die Ernährung der Pfahlbautensiedler noch gar keine so dominante Rolle. Neben Viehzucht plus dem Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten blieben Jagen und Sammeln wichtige Tätigkeiten. Daten von anderen Schweizer Fundstätten weisen in dieselbe Richtung (vgl.: The Holocene, Bd. 26, S. 1858).

Malaria im Mittelpunkt

Michaela Binder indes richtet ihr Augenmerk auf medizinisch relevante Themen. Aktuell befasst sie sich vornehmlich mit Malaria. Die Seuche hat in Europa und dem mediterranen Raum eine lange Geschichte. Schon Hippokrates beschrieb um 400 vor Christus ihre typischen Symptome. Malaria ist allerdings nicht gleich Malaria. Die Krankheit wird von mehreren unterschiedlichen Einzeller-Spezies verursacht – mit unterschiedlichen Folgen. Während Plasmodium vivax und P. malariae chronisch schwere, normalerweise nicht lebensbedrohliche Fieberschübe auslösen, fordert Plasmodium falciparum Todesopfer. Vor allem bei Kindern verlaufen die Infektionen fatal.

Eine Frage, die die Wissenschaft seit längerem umtreibt, lautet: Wann erreichte P. falciparum das Mittelmeer? Der Erreger stammt ursprünglich von einem Schimpansen-Parasiten, Plasmodium reichenowi, ab. Von den Affen scheint er erst vor relativ kurzer Zeit auf den Menschen übergesprungen zu sein. Damit würde sich auch seine Gefährlichkeit erklären, denn ein angepasster Schmarotzer bringt seinen Wirt nicht um. Die Evolution begünstigt auf Dauer die Schonenden.

Gefährlicher Erreger

Nach Ansicht einiger Fachleute wären die antiken Zivilisationen gar nicht entstanden, wenn die tödliche Malaria-Variante damals schon mediterrane Gefilde heimgesucht hätte. Manche glauben sogar, dass P. falciparum das Römische Reich auf dem Gewissen hat – eine umstrittene These. Die Krankheit mag beim Zerfall des Imperiums eine Rolle gespielt haben, meint Michaela Binder. "Doch Malaria war bestimmt nicht die einzige Ursache."

Um die historische Ausbreitung der Seuche genauer nachvollziehen zu können, suchen Binder und Forscher der Medizinischen Universität Wien gemeinsam nach Spuren von P. falciparum-Infektionen. Knochen und Zähne liefern das Probematerial. Die Skelette sind 3.300 bis 400 Jahre alt und kommen von Friedhöfen auf Zypern, aus dem Sudan und der Türkei sowie aus Podersdorf am Neusiedler See. Unter den dort zwischen 700 und 800 AD bestatteten Menschen finden sich auffallend viele Jugendliche und Kinder ab fünf, erklärt Michaela Binder. Das deutet womöglich auf tödliche Malaria hin.

Untersuchungsansätze

Zur Analyse nutzen die Wiener Wissenschafter modernste Methoden und passen sie ihren eigenen Anforderungen an. Einerseits will man mithilfe molekulargenetischer Verfahren die DNA von P. falciparum nachweisen. Das Parasiten-Erbgut ist hoffentlich in den Knochen erhalten geblieben. Ein weiterer Ansatz basiert auf einem speziellen, vom Erreger produzierten Protein mit der Bezeichnung Pf HRP-2.

Es stellt praktisch den biochemischen Fingerabdruck des Parasiten dar. Solche Fremdmoleküle lassen sich immunologisch aufspüren. Die ersten Proben sind gerade in Bearbeitung, berichtet Binder. Mit konkreten Ergebnissen kann in zwei, drei Monaten gerechnet werden. (Kurt de Swaaf, 23.3.2017)