Auf Baustellen der öffentlichen Hand muss in Frankreich immer öfter Französisch gesprochen werden. Kritiker sehen darin eine nationale Bevorzugung. Befürworter meinen, dies diene der Arbeitssicherheit.

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Das Thema ist politisch explosiv – und das nicht nur, weil in Frankreich derzeit Wahlkampf herrscht: Kann man von ausländischen Bauarbeitern verlangen, dass sie die Sprache ihres Wohnsitzlandes beherrschen? Die westfranzösische Stadt Angoulême bejaht die Frage und verlangt, dass auf Baustellen der öffentlichen Hand Französisch gesprochen oder zumindest verstanden wird. "Als wir ein neues Spital bauten, fand ich vor Ort keinen Ansprechpartner, an den ich mich hätte wenden können, weil niemand Französisch sprach", erklärte der städtische Finanzdirektor Vincent You. "Deshalb richteten wir die Klausel ein, die sich als sehr wirksam erwiesen hat."

Übersetzer nötig

Die "Molière-Klausel" genannte Bestimmung hält Arbeitgeber konkret an, einen gerichtlichen Übersetzer beizuziehen, wenn sie einen ausländischen und sprachunkundigen Arbeiter anstellen wollen. Angoulême 2016 eingerichtet, haben jüngst mehrere Landesregionen wie die Normandie, Rhône-Alpes (um Lyon) oder Nordfrankreich diese Maßnahme übernommen; der Großraum Paris mit mehr als zehn Millionen Einwohnern hat sich vergangene Woche angeschlossen. Die treibende Kraft in den Regionalräten war jeweils die konservative Partei der Republikaner.

Seither wogt die Debatte hoch. Kritiker sagen, die Molière-Klausel verteure und verkompliziere die Anstellung nichtfranzösischer Arbeitnehmer. Die französische Regierung lehnt die Klausel deshalb als "diskriminierend" ab. "Man bezeichnet immer die gleichen Sündenböcke", meinte Arbeitsministerin Myriam El Khomri, Mitglied der sozialistischen Partei. Der bürgerliche Regionalratspräsident Laurent Wauquiez entgegnete in Lyon, es gehe auch um die Sicherheit der Arbeiter. Er hat deshalb eine "Kontrollbrigade" geschaffen, die auf den Baustellen darauf zu achten hat, ob sämtliche Arbeiter die Sicherheitsbestimmungen, wie etwa das Helmtragen, verstanden haben.

Die Stoßrichtung ist aber politisch. Sie richtet sich gegen die "Entsende-Richtlinie" der EU, welche die periodische Anstellung von EU-Ausländern ermöglicht. Diese Direktive hat in Frankreich einen schlechten Ruf. Die Linke, aber auch der rechtsextreme und europafeindliche Front National laufen dagegen seit Jahren Sturm. Sie prangern regelmäßig Interimsagenturen in Zypern oder Irland an, die mit Schachtelorganisationen die geltenden EU-Regeln umgehen. Die offizielle Zahl von 220.000 entsendeten Arbeitern in Frankreich dürfte in Wahrheit bedeutend höher liegen. Die meisten stammen aus Osteuropa und leben unter unwürdigen Bedingungen – zum Teil sogar unter freiem Himmel, damit ihnen keine missbräuchlichen "Wohnauslagen" vom Mindestlohn abgezogen werden.

Vor diesem Hintergrund wird die Debatte um die Molière-Klausel notgedrungen sehr politisch, ja wahlpolitisch. Gewerkschafter meinen, die Molière-Klausel sei auch als Hintertür gedacht, um eine Art nationalen Vorrang einzurichten, wie das der Front National von Marine Le Pen wünsche. Der Präsidentschaftskandidat der Linken, Jean-Luc Mélenchon, bezeichnet die Klausel als "pure Heuchelei"; wichtiger wäre es, die Arbeitsgesetze auf den Baustellen, in den Weinbergen oder Schlachthäusern einzuhalten.

Der Regionalrat in Lyon hat als Antwort eine "Kontrollbrigade" geschaffen, die allgemein die Einhaltung der Sprachvorgabe auf öffentlichen Baustellen überwachen soll, konkret aber nur darüber wacht, dass alle Arbeiter die Sicherheitsbestimmungen wie das Helmtragen verstanden haben und damit auch befolgen können.

Arbeitsjuristen wie Frédéric Sicard meinen, es wäre an sich an der normalen Arbeitsinspektion, für die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen zu sorgen. Kein Gesetz erlaube es, erwerbstätigen oder anderen Bürgern die Verwendung einer bestimmten Sprache vorzuschreiben. (Stefan Brändle aus Paris, 17.3.2017)