"Übertriebenes Augenrollen": Norbert Hofer in der TV-Konfrontation zur Präsidentschaftswahl am 19. Mai 2016 mit Moderatorin Ingrid Thurnher.

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Wien – Der ORF hat mit Ingrid Thurnhers Frage zu Norbert Hofers Erlebnissen auf dem Tempelberg in Jerusalem in der Präsidentschaftswahlkonfrontation im Mai 2016 das ORF-Gesetz nicht verletzt, entschied die Medienbehörde in erster Instanz, vorerst nicht rechtskräftig. Die Komm Austria wies die Beschwerde Hofers ab – die sich auch gegen Thurnhers "übertriebenes Augenrollen" richtete. Der ORF habe in "Das Duell" Objektivitätsgebot und Sorgfaltspflichten eingehalten, entschied die Behörde. Hofers Sprecher kündigte an, der dritte Nationalratspräsident und FPÖ-Politiker werde Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht* einlegen.

Für Hofer sei die Komm-Austria-Entscheidung "sachlich nicht nachvollziehbar", erklärte sein Sprecher: "Vor allem die Begründung ist lächerlich und ein Skandal." Die Behörde argumentiert, dass die journalistische Sorgfaltspflicht nicht bedeute, dass jede denkbare Version eines Vorfalls ausrecherchiert werden muss, bevor man einen Betroffenen mit den Rechercheergebnissen konfrontiert. Dass die Redaktion nicht sofort auf einen tatsächlichen Vorfall, allerdings gänzlich anders gelagert, am Tempelberg gekommen sei, könne man nach Auffassung der Komm Austria nicht bemängeln. Das will Hofer nicht hinnehmen: Schließlich hätten "andere Journalisten binnen Sekunden" Informationen dazu gefunden.

Die Medienbehörde ließ am Donnerstag mit dem Bescheid verlauten: "Der ORF hat in seiner am 19. Mai 2016 im Programm von ORF 2 ausgestrahlten Live-Sendung 'Das Duell' den damaligen Präsidentschaftskandidaten Ing. Norbert Hofer mit sorgfältig erlangten Rechercheergebnissen konfrontiert und dabei nicht gegen die im ORF-Gesetz ausgeführten Objektivitätsvorgaben verstoßen."

Keine Infos zu Terrorangriff

Nach Auffassung der Komm Austria kann nicht bemängelt werden, dass der ORF bei seinen – auf Hofers Darstellungen basierenden – Recherchen nicht darauf stieß, dass es einen in wesentlichen Punkten anders gelagerten Vorfall am Tempelberg gegeben hatte. Selbst die von Hofer im Verfahrens vorgelegte Medienberichterstattung beinhaltete laut Behörde keine Informationen zu einem wie auch immer gearteten Terrorangriff, bei dem jemand zu Tode gekommen wäre. Aus den Verpflichtungen des Objektivitätsgrundsatzes beziehungsweise den Anforderungen an die journalistische Sorgfalt könne nicht abgeleitet werden, dass jede denkbare Version einer Schilderung mit divergierenden Tatbestandselementen abgeklärt werden muss, bevor ein Betroffener mit Rechercheergebnissen konfrontiert wird.

Nicht Augenzeuge

Dem Bescheid ist zu entnehmen, dass später israelische Zeitungsberichte (zum Beispiel von der "Jerusalem Post") gefunden wurden, wonach eine völlig unbewaffnete und in Decken gehüllte, streng orthodoxe Frau von Sicherheitskräften mit einem Schuss am Bein verletzt wurde, weil sie an einem Kontrollpunkt Stopp-Rufe ignoriert hatte. Und eben nicht, wie von Hofer geschildert, eine mit Handgranaten und Maschinenpistole bewaffnete Frau, die einen Terrorangriff auf betende Menschen ausüben wollte, erschossen wurde.

Die Behörde: Kurz nach dem Schuss, den er selbst nicht mitbekommen hatte, wurde Hofer dann offenbar von Dritten über den tatsächlichen Geschehensablauf falsch informiert, war aber selbst eben nicht Augenzeuge desselben.

"Vom Ermessensspielraum gedeckt"

In der Entscheidung der Behörde heißt es wörtlich: "Eine Konfrontation der sich einer Bundespräsidenten-Wahl stellenden Kandidaten mit Unklarheiten beziehungsweise Widersprüchen ihrer Aussagen in Bezug auf ein konkretes Thema im Verhältnis zu den Rechercheergebnissen des Beschwerdegegners (Anm: ORF) bildet ein Kernelement der journalistischen Tätigkeit auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist zweifelsfrei von öffentlichem Informationsinteresse und im gegebenen Kontext daher vom Ermessensspielraum des Beschwerdegegners gedeckt."

Nicht unsachlich

"Die Komm Austria kann daher nicht erkennen, dass die Entscheidung des Beschwerdegegners, das beschwerdegegenständliche Thema im Rahmen der Live-Diskussionssendung aufzuwerfen, unsachlich oder nicht sachspezifisch gewesen wäre und deshalb dem Objektivitätsgebot widersprochen hätte."

"Journalistischer Verpflichtung nachgekommen"

Die – zu dem Zeitpunkt nicht vollständigen – Recherchen zu Thurnhers Tempelberg-Frage kommentiert die Medienbehörde so: "Somit kann festgehalten werden, dass der Beschwerdegegner seiner zentralen journalistischen Verpflichtung, eine Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, nachgekommen ist, und ihm ein Verstoß gegen das Objektivitätsgebot nicht deshalb unterstellt werden kann, weil die Berichterstattung israelischer und vor allem regional bedeutsamer Medien über die Geschehnisse am 30. Juni 2014 nicht aufgefunden wurde."

Und: "Damit erweist sich aber unter diesem Gesichtspunkt die Fragestellung an den Beschwerdeführer in der verfahrensgegenständlichen Sendung als unproblematisch, zumal dieser lediglich um Aufklärung hinsichtlich der (nach den Rechercheergebnissen des Beschwerdegegners) fehlenden Berichterstattung über den Vorfall sowie im Lichte des Statements des Polizeisprechers nach der Möglichkeit einer allfälligen Verwechslung befragt wurde, seitens des Beschwerdegegners aber keine Behauptung aufgestellt wurde, dass der verfahrensgegenständliche Vorfall sich überhaupt nicht zugetragen hätte (vergleiche nicht zuletzt die Relativierung durch die Moderatorin am Ende der Passage hinsichtlich des Vorliegens unterschiedlicher Wahrnehmungen)."

"Keine Klarstellung"

"Aus dem Ablauf der maßgeblichen Sendungssequenz ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die ihm mit der relativ offenen Fragestellung (Möglichkeit einer Verwechslung) eingeräumte Gelegenheit, seinen Standpunkt darzustellen, augenscheinlich vor allem als 'Angriff' interpretiert und darauf aufbauend dem Beschwerdegegner (ORF) mangelnde Objektivität vorgeworfen hat. Dass der Beschwerdeführer demgegenüber keine Klarstellung dahingehend vorgenommen hat, dass der Delegation am 30. Juli 2014 von den Sicherheitskräften vor Ort die Auskunft erteilt worden war, es habe sich ein Terroranschlag mit einer schwer bewaffneten Frau ereignet, dessen unmittelbarer Augenzeuge er aber offenkundig nicht war, hat letztlich auch zu dem entstandenen Eindruck beitragen, dass ein ungeklärter Sachverhalt vorliegt. Ein Verstoß des Beschwerdegegners gegen das Objektivitätsgebot beziehungsweise den Grundsatz 'audiatur et altera pars' kann darin nicht erkannt werden."

Die Vorgeschichte

Die Vorgeschichte: In der ORF-Wahlkonfrontation zwischen den Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer am 19. Mai fragte Moderatorin Ingrid Thurnher Hofer zu seinen Erlebnissen bei einem Besuch auf dem Tempelberg.

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Hofer berichtete vor der Diskussion, er habe am 30. Juli 2014 eine Frau mit Handgranate und Maschinengewehr am Tempelberg gesehen, die neben ihm erschossen wurde. Thurnher konfrontierte ihn mit Recherchen, die dem widersprachen – aber offenbar nicht vollständig waren. In einem "ZiB 1"-Beitrag räumte der ORF ein, dass israelische Medienberichte über eine zum fraglichen Zeitpunkt vor dem Tempelberg angeschossene Frau in der ORF-Recherche fehlten.

Die Beschwerde

Rechtsanwalt Michael Rami brachte für Hofer Ende Mai eine Beschwerde bei der Komm Austria gegen die Sendung ein. Der ORF habe dem Publikum "den falschen Eindruck vermittelt, dass der geschilderte Vorfall gar nicht stattgefunden hätte".

Der ORF habe Hofer "völlig überraschend mit einem Vorhalt konfrontiert, der in einer Live-Sendung gar nicht adäquat widerlegbar ist, aber leicht zu widerlegen gewesen wäre, hätte man den Beschwerdeführer rechtzeitig vor der Sendung darauf hingewiesen, dass man vorhabe, seine Schilderung des Vorfalls in Zweifel zu ziehen". Und der ORF habe in der Sendung nicht erwähnt, "dass aufmerksame Zuseher noch während der Sendung darauf hinwiesen, dass die Recherchen falsch waren".

"Übertriebenes Augenrollen"

Außerdem habe Moderatorin Ingrid Thurnher versucht, mit "bestimmten Stilmitteln" wie "Sprechen im Singsang-Ton, übertriebenem Augenrollen" Hofer lächerlich zu machen. Hofer sei "durch diese Rechtsverletzungen unmittelbar geschädigt" worden.

Die Behörde zum Augenrollen

"Im Lichte des Objektivitätsgebots kann nach der ständigen Rechtsprechung grundsätzlich nicht beanstandet werden, dass die Moderatorin an sich einen pointierten und provokanten Fragen- beziehungsweise Moderationsstil verwendet hat, da das Objektivitätsgebot nicht verlangt, dass Fragen im sachlich nüchternen Ton und getragenen Stil eines Nachrichtensprechers vorgetragen werden."

Und: "Dass die Moderatorin versucht hätte, den Beschwerdeführer mit spezifischen Stilmitteln lächerlich zu machen, konnte die Einsichtnahme in die Sendungsaufzeichnung nicht bestätigen. Gerade in der Passage rund um das beschwerdegegenständliche Thema konnten kein wie auch immer gearteter 'Sing-Sang-Ton' oder 'Häme' erkannt werden; auch äußerte sich die Moderatorin weder spöttisch, höhnisch, noch sarkastisch oder zynisch.

Die Behörde, Hofer und der Hustinettenbär

Die Komm Austria: "Zu berücksichtigen war in diesem Zusammenhang auch, dass der Beschwerdeführer sich bereits im vorangegangenen Teil der Sendung mehrfach einer durchaus konfrontativ wirkenden Wortwahl gegenüber der Moderatorin bedient hat, wenn er etwa im Sendungsteil ab Minute 13.40 auf die beharrliche Nachfrage, ob er eine bestimmte Entscheidung trifft, mit der Aussage 'Ja, wer denn sonst? Der Hustinettenbär wird keine Zeit haben, das zu entscheiden' antwortet." (red, 16.3.2017)