Peter Zellmann, empirischer Sozialforscher, spricht über die Folgen der Digitalisierung.

Foto: Matthias Cremer

Wien – "Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Sie kommt mit aller Wucht, erfasst alle Bereiche und wird viele der bestehenden Arbeitsplätze vernichten." Peter Zellmann, empirischer Sozialforscher aus Wien mit Schwerpunkt Bildung, Lebensstil, Zukunft ist skeptisch, dass der Übergang in die neue Zeit noch auf sanfte Weise gelingen kann. Zu viel sei verabsäumt worden in den vergangenen Jahren.

"Es wird ohne Crash leider nicht mehr gehen, davon bin ich jetzt überzeugt", sagte Zellmann im Gespräch mit dem STANDARD. "Es gibt seit 20 Jahren Hinweise aus allen Wissenschaftsrichtungen auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen. Das wurde und wird noch immer von der Politik ignoriert." Falsche Überschriften führten quasi in Permanenz zu falschen Entscheidungen.

Digitalisierung statt Entschleunigung

In seinem eben erschienenen Buch "Die Zukunft, die wir wollen. Was den Menschen wirklich wichtig ist" (Manz-Verlag, 198 Seiten, 21,90 Euro) gibt Zellmann "Denkanstöße". Mit der Digitalisierung werde kein Problem gelöst, ist eine seiner Thesen: "Das ist die Fortschreibung des immer Gleichen, Business as usual."

Statt Entschleunigung, die viele Menschen herbeisehnten, finde mit fortschreitender Digitalisierung eine dramatische Beschleunigung statt. Das treffe auf die App am Handy genauso zu wie auf die sich selbst organisierende Fabrik, die deutlich weniger Beschäftigte weit mehr auf Trab hält als früher.

80 Prozent der Menschen klagten in Umfragen bereits jetzt, wesentlich weniger Zeit zur Verfügung zu haben als jemals zuvor – trotz vermeintlich ersparter Zeit dank der vielen unsichtbaren Helferlein. "Grund ist, dass wir immer mehr Erledigungen in immer kürzere Zeitintervalle hineinpacken," sagt Zellmann.

Fortschritt nicht verteufeln

Technik verteufeln ist seine Sache nicht. "Es geht um den richtigen Umgang damit. Der müsse gelehrt werden, in der Schule, im Elternhaus, Hauptsache irgendwo. In der Schule aber würden noch großteils Inhalte vermittelt, als ob wir noch im Industriezeitalter lebten. "Wenn wir so weitermachen, haben wir zwar jede Menge Akademiker, aber alle arbeitslos, weil falsch qualifiziert", sagte Zellmann.

Seiner Ansicht nach wird der Großteil der Menschen künftig im Bereich der persönlichen Dienstleistungen eine bezahlte Beschäftigung finden. "Wenn Roboter mit Robotern sprechen und diese teilweise schon in der Pflege zum Einsatz kommen, ist die persönliche Ansprache, das Zuhörenkönnen, der wirkliche Mehrwert, den der Mensch gegenüber Maschinen bieten kann." Dazu sei aber ein gerüttelt Maß an Empathie erforderlich – etwas, das aber nirgendwo gelehrt werde.

Ein Beispiel für eine falsche Überschrift, die in der Folge zu falschen Entscheidungen führt, ist die von der alternden Gesellschaft. "Nicht die Gesellschaft altert, sondern die Menschen werden älter", sagte Zellmann. Das sei nicht nur nicht dasselbe, sondern bedeute für die meisten Lebensbereiche sogar das Gegenteil. Die Menschen seien fitter als früher, pflegebedürftig seien die Menschen in der Regel erst in den letzten vier Lebensjahren, egal wie hoch der Altersdurchschnitt in der Bevölkerung ist.

Dass die "Generation Praktikum", die sich von einer prekären Stelle zur nächsten hangelt, nicht längst revoltiert, liegt laut Zellmann an Eltern und Großeltern: "Viele haben es zu einem gewissen Wohlstand geschafft, davon profitieren die Kinder." Und die ticken in der Regel auch anders, wollen mehr teilen als besitzen. (Günther Strobl, 15.3.2017)