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Warum will Schottland raus aus dem Vereinigten Königreich?

Die Schotten fühlen sich in Sachen Brexit übergangen. 62 Prozent haben beim Referendum am 23. Juni 2016 immerhin gegen den EU-Austritt gestimmt. Schottland will die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und den Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht aufgeben. Edinburgh legte für die Brexit-Verhandlungen einige Forderungen auf den Tisch, zuletzt ging es "nur" noch um einen Sonderstatus für Schottland nach dem Ausstieg. Premierministerin Theresa May lehnte allerdings eine schottische Mitsprache kategorisch ab und ließ damit aus Edinburgher Sicht wohl keinen anderen Ausweg zu als die Einleitung eines zweiten Referendums.

Nicola Sturgeons Rede vom Montag, in der sie ankündigt, das zweite Referendum einleiten zu wollen.
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Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will das Referendum vor dem Brexit abhalten. Experten gehen davon aus, dass die Chancen für ein Ja zur Unabhängigkeit steigen, je länger die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU dauern und je mehr Probleme dort auftreten.

Ist das Referendum "IndieRef2" denn jetzt schon fix?

Nein. Sturgeon braucht nach der Zustimmung im eigenen Parlament noch das grüne Licht der britischen Regierung. Und diese hat bereits ihren Widerstand angekündigt. Das Argument: Schottland habe bereits gegen eine Unabhängigkeit gestimmt. Beim ersten Unabhängigkeitsreferendum 2014 hatten sich 55 Prozent der Teilnehmer gegen eine Loslösung von Großbritannien ausgesprochen.

Zudem kann Theresa May jetzt keine zweite Front brauchen, also gleichzeitig einen Ausstieg aus der EU und einen schottischen Ausstieg verhandeln. Experten stellen in den Raum, dass Sturgeons aktueller Schritt ein Versuch sein könnte, London zu mehr Mitspracherechten im Verhandlungsprozess mit der EU zu zwingen. Sie selbst sagt: "Der Brexit ist kein Spiel, es ist wirklich sehr ernst. Die Auswirkungen für Großbritannien sind ernst, und die Auswirkungen für Schottland sind ernst."

Was sagen die Umfragen in Schottland? Hat ein zweites Referendum überhaupt eine Chance?

Einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Umfrage zufolge liegen Gegner und Befürworter einer Unabhängigkeit derzeit praktisch gleichauf. In der Erhebung des Instituts BMG sagten aber auch 56 Prozent der Befragten, sie wünschten kein weiteres Referendum, ehe die Brexit-Verhandlungen abgeschlossen sind. Das dürfte 2019 der Fall sein. Sturgeon hat am Montag ein Referendum für Ende 2018 oder Anfang 2019, aber auf alle Fälle noch vor dem endgültigen Brexit angekündigt.

Was würde bei einem Ja zur Unabhängigkeit auf Schottland zukommen?

Mit einer schottischen Unabhängigkeit begibt sich Europa – wie mit dem Brexit – auf vollkommen unbekanntes Terrain. Die Schotten müssten wohl erst einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Dass sie wie ein Neumitglied behandelt würden, ist zwar zu bezweifeln. Die EU hat aber auch noch keinerlei Signale ausgesendet, wie eine Eingliederung Schottlands ablaufen könnte – auch aus Rücksicht auf Länder wie Spanien, die Probleme mit Regionen haben, die nach Unabhängigkeit streben.

Auch über eine "EU-Mitgliedschaft light" wird spekuliert. Im Scotland Act von 1998 ist festgehalten, dass Edinburgh EU-Gesetze eigenständig implementieren kann. Wenn dieser Scotland Act auch nach dem Brexit gilt, könnte Schottland eventuell abweichend von London agieren.

Weitere wichtige Fragen, die Schottland sich stellen muss: Wie kann sich das Land wirtschaftlich eigenständig entwickeln? Wie wirkt sich das auf die Reisefreiheit zwischen Schottland und England aus? Und wie attraktiv wäre es, das Pfund abzugeben und den Euro einzuführen? Wichtige mit London zu klärende Punkte: die Aufteilung der Staatsschulden und -vermögen und der Streitkräfte. Die große wirtschaftliche Ungewissheit könnte Anlegern Angst machen. Befürworter der Unabhängigkeit verweisen auf die Einnahmen aus dem in der Nordsee gewonnenen Erdöl. Wie sich die Fördermenge langfristig entwickeln wird, ist umstritten.

Die Schotten lieben die Queen. Dürften sie sie behalten?

Die Schotten lieben die Queen. Die Queen liebt Schottland, wie sie auch nach dem ersten Unabhängigkeitsreferendum betonte. Schottland könnte aber theoretisch das Oberhaupt des 52 Staaten umfassenden Commonwealth of Nations als eigenes Staatsoberhaupt behalten. Es würde sich dann unter 16 andere Staaten einreihen, die sich ebenfalls, obwohl nicht zum United Kingdom gehörend, aktuell Königin Elisabeth II. unterstellen, wie Australien, Neuseeland, Kanada, Jamaika und die Südseeinsel Tuvalu.

Und Nordirland?

Ebenfalls am Montag forderte die katholisch-republikanische Sinn-Féin-Partei in Nordirland eine Volksabstimmung über die Vereinigung mit der Republik Irland. May führe Nordirland "gegen den Willen des Volkes" aus der EU, begründete die nordirische Sinn-Féin-Chefin Michelle O'Neill den Vorstoß. (red, mhe, 14.3.2017)