Dem Außenminister eines verbündeten Staates verweigert man nicht die Landung seiner Maschine. Noch weniger schafft man nachts im Auto eine Familienministerin zurück über die Grenze, die vor ihrem Konsulat steht, also vor rechtlich eigenem Gebiet.

Aber ebenso verbieten diplomatische Höflichkeit und politische Vernunft einem Minister, auf der Einreise zu beharren, wenn sie erklärtermaßen unerwünscht ist. Und einer Ministerin, dies dann im zweiten Anlauf in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu versuchen. Maßlosigkeit in der Rhetorik und skrupelloses politisches Kalkül des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu konkurrieren mit dem Opportunismus des niederländischen Premiers Mark Rutte, der sich von den Rechtspopulisten treiben lässt.

Gelassenheit gegenüber den Provokationen der Türkei und ihres Staatschefs ist im Moment das bessere Rezept. Wer so drastische, unter Nato-Verbündeten unerhörte Schritte wie das Einreiseverbot für den türkischen Außenminister oder die Zwangsausweisung der Familienministerin als Ausweis von Entschlusskraft feiert, der hat das Spiel von Tayyip Erdoğan nicht begriffen. Die EU ist ihm egal, die mehrheitlichen Stimmen der Auslandstürken hat er auch ohne Auftritte seiner Minister. Was Erdoğan für ein deutliches Ja zu seiner Verfassung beim Referendum braucht, ist eine Massenempörung, eine Opfer-Hysterie im eigenen Land. Beides hat ihm Mark Rutte geschenkt.

Der Streit um die Wahlkampfauftritte der AKP-Minister in Europa zieht eine ganze Reihe kontroverser Fragen hinter sich her. Ja, Regierungsvertreter haben kein verbrieftes Recht, im Ausland politische Werbung vor ausgewählten Gruppen zu betreiben; sie müssen von der gastgebenden Regierung eingeladen werden. Und richtig: Wahlkampf türkischer Minister vor in Österreich oder anderswo in der EU lebenden Türken wirft Fragen nach der Integration auf. Darf man sein Kreuz bei der Nationalratswahl machen und bei Erdoğans Verfassungsreferendum?

Man darf. Man darf auch Zeitung lesen, sich als in Europa lebender Bürger Gedanken über den neuen US-Präsidenten machen, politisch für Flüchtlinge engagieren und – hat man den Vorteil doppelter oder mehrfacher Staatsbürgerschaften – auch einen Willen als mündiger Mensch bei Abstimmungen in mehr als einem Land bekunden. War das nicht auch einmal die Idee einer europäischen Gesellschaft? Und hatten – als die EU noch in besserem Kurs stand – sozialdemokratische und christdemokratische Regierungschefs ihren Parteifreunden im Ausland nicht dann und wann auch persönlich Wahlhilfe geleistet?

Weder die Frage der Integration türkischstämmiger Bürger noch das unscharfe Problem der wahlkämpfenden türkischen Politiker in der EU (Erdoğan-Minister dürfen nicht, die Opposition schon?) lässt sich mit politischen Kraftmeiereien niederländischer Art bis zum Tag des Referendums am 16. April lösen. Das Problem ist der Tag danach.

Erdoğans Präsidialverfassung ist undemokratisch. Kommt sie, ist das EU-Beitrittsprojekt der Türkei tot. Der politischen Führung in Ankara scheint das gleichgültig zu sein. Sie hat so viele Beleidigungen gegenüber Wien, Berlin und Den Haag ausgestoßen, nur um ihre Macht zu erhalten. Auch nach dem Referendum wird die Türkei mit der EU leben müssen und die EU mit der Türkei. Aber dann wird neu justiert. (Markus Bernath, 12.3.2017)