Besonders in Österreichs Bausektor arbeiten viele Menschen aus Ost- und Zentraleuropa.

Foto: Christian Fischer

Wien – Wer sein Badezimmer neu verfliesen lassen will, die Fenster im Haus austauschen möchte oder den Ausbau des Dachgeschoßes in Angriff nimmt, kennt das Phänomen nur zu gut. Österreichische Unternehmen, die ein Anbot vorlegen, sind deutlich teurer als Konkurrenten aus Tschechien, Ungarn oder der Slowakei. Oft geht es um mehrere tausend Euro Preisunterschied.

Diese Erfahrung machen aber nicht nur Häuslbauer, sondern auch Konzerne. Von osteuropäischen Unternehmen nach Österreich entsandte Maurer, Installateure und Schweißer sind deutlich billiger zu haben als ihre österreichischen Kollegen. Dagegen regt sich zusehends Widerstand bei Wirtschaftskammer und Gewerkschaft.

Am Donnerstag wurde eine Studie präsentiert, in deren Rahmen erstmals berechnet wurde, welche Kosten Österreich durch die Entsendung von ausländischen Arbeitnehmern entstehen. Rund 1,5 Milliarden Euro entgingen dem Staat zuletzt pro Jahr, haben Studienautor Thomas Oberholzner und Kollegen von der auf Klein- und Mittelbetriebe spezialisierten KMU-Forschung Austria ausgerechnet.

Aber wie kommen sie darauf? Zur Ausgangslage: Entsendet ein Unternehmer aus der Slowakei, Ungarn oder Polen Mitarbeiter nach Österreich, gelten für die Höhe der Entlohnung die Kollektivverträge in Österreich. Zu zahlen ist also das Gleiche.

Woher die Kostenersparnis kommt

Anders ist das bei den Abgaben und der Sozialversicherung. Ein ungarisches Unternehmen muss für seine Beschäftigten Sozialversicherungsabgaben nach ungarischem Recht zahlen. Die Tarife sind in Ungarn, Slowenien, Tschechien und der Slowakei niedriger als in Österreich. Das macht die Betriebe aus diesen Ländern günstiger. Zudem gilt für einen Zeitraum von maximal einem halben Jahr, dass auch die Einkommensteuer nicht in Österreich, sondern im Heimatland anfällt.

Die Entsendung erfreut sich zusehends wachsender Beliebtheit. Dem Finanzministerium muss sie gemeldet werden. Gab es im Jahr 2015 laut offizieller Statistik noch rund 134.000 Entsendungen, waren es ein Jahr später bereits fast 170.000, erfuhr der STANDARD auf Anfrage. Das ist ein Anstieg von 26 Prozent.

Die Ökonomen der KMU-Forschung Austria haben nun in einer fiktiven Rechnung analysiert, was geschehen wäre, wenn anstelle der entsendeten Arbeitnehmer österreichische Betriebe und ihre Angestellten die Aufträge bekommen hätten. Die geschätzte Österreich entgangene Bruttolohnsumme ergibt demnach 1,33 Milliarden Euro für das Jahr 2015.

Das führt zu einem Steuer- und Sozialversicherungsentgang in Höhe von 760 Millionen Euro. Hinzu kommt Geld, das ausgegeben wird, weil es mehr einheimische Arbeitslose gibt. Hinzu kommt laut Studienautoren noch ein Entgang von Einnahmen bei der Umsatzsteuer. Auch die im Ausland anfallenden Unternehmensgewinne werden in Österreich nicht erfasst. Rechnet man alle Posten zusammen, ergeben sich die erwähnten 1,5 Milliarden Euro.

Die Wirtschaftskammer Wien, Auftraggeberin der Studie, forderte am Donnerstag eine EU-weite Reform: Vom ersten Tag der Entsendung an sollten bei Lohnnebenkosten dieselben Spielregeln wie in Österreich gelten, so Maria Smodics-Neumann.

Der Chef der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, schloss sich der Forderung an. In Österreich finde ein "unfairer" Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt statt. Besonders betroffen sei die Baubranche, auf die etwa die Hälfte aller Entsendungen entfällt.

Allerdings lässt sich gegen die Studienergebnisse und die Schlussfolgerungen so mancher Einwand finden. Hätte es die Aufträge an Firmen aus Osteuropa überhaupt gegeben, wenn sie nicht günstiger als österreichische Betriebe wären? Ist die Berechnung der entgangenen Einnahmen also redlich? Ja, sagt Smodics-Neumann. Die meisten Aufträge würden ja vergeben, weil ein Bedarf da ist. "Wer sein Badezimmer renovieren will, möchte das ja nicht nur deshalb, weil er ein günstiges Angebot erhält."

Ziegel um Ziegel

Ein anderer Einwand lautet, dass die Entsendung von Arbeitnehmern Österreich etwas kosten mag, das Land aber profitiert, weil seine Unternehmen im Ausland sind. Gerade in der Baubranche. Die Big Player Porr und Strabag erwirtschaften große Teile ihres Umsatzes in Polen, Tschechien und Ungarn. Bei der Strabag waren es zuletzt mehr als 20 Prozent der Bauleistung, bei Porr 16 Prozent. Eine gute Auftragslage in Osteuropa wirkt sich positiv auf die Beschäftigung in Österreich aus, heißt es bei der Strabag, weil manche Aufgaben von der Konzernzentrale erledigt werden. Müsste man also bei einer Kosten-Nutzen-Rechnung das mitbetrachten?

Josef Muchitsch sagt dazu, dass die Großen zwar profitieren mögen, Klein- und Mittelbetriebe dagegen nicht.

Sicher ist, dass die Bautätigkeit in Österreich zuletzt zugenommen hat. In Wien entstehen gefühlt an jeder zweiten Ecke, besonders in den Randbezirken, neue Wohnhäuser. Die Arbeitslosigkeit in der Branche ist 2016 erstmals nach vier Jahren gesunken, um 6,7 Prozent. Ist der Alarmismus also übertrieben? "Österreichische Firmen profitieren von diesem Aufschwung nicht so sehr, wie sie könnten", sagt dazu Unternehmensvertreterin Smodics-Neumann. (András Szigetvari, 9.3.2017)