In den Zeitungen, im Fernsehen, in Diskussionen, auf den Universitäten wird fast täglich über den Islam und seine Strömungen, über "Staat und Religion", über Kopftücher und Vermummungen, über Kreuze in den Schulen debattiert. Trotzdem will Innenminister Wolfgang Sobotka im Rahmen einer "Sicherheitsdoktrin" eine "Religionsdiskussion" anstoßen. In ganz Europa sogar.

Es ist nicht anzunehmen, dass ihm dies verborgen blieb – obwohl viele Politiker Zeitungen nicht lesen, sondern nur sie betreffende Ausschnitte. Und bei Debatten sind viele selten dabei. Das würde ihre Weltanschauung ins Wanken bringen. Bei Sobotka kommt noch hinzu, dass er lieber dirigiert als liest – die Filmmusik zu Haders Journalistendrama "Wilde Maus" zum Beispiel.

Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass es dem Innenminister gar nicht um Religionsdebatten geht, sondern darum, was schon in George Orwells "1984" ein Thema ist: Big Brother möchte einen kollektiven Denkprozess in Gang setzen, der von Überwachung und Indoktrination begleitet wird. Das Ergebnis: positive Konfirmität, kein negatives Denken.

Wäre es anders gemeint, müssten Religionsdebatten ein Punkt des Bildungsministeriums sein und nicht des Innenministers.

Dort laufen ja auch die laut New Speak "ergebnisorientierten" Maßnahmen. Lauschangriffe, Bürgerüberwachung, modernes Spitzelwesen nicht nur gegen Terrorplaner, sondern auch gegen Verdächtige, die laut und zu viel denken.

Nach dem Erscheinen von "1984" und im Zuge der Kommunistenhatz im Amerika der 50er-Jahre hat es bereits Debatten gegeben, ob man nicht Lügendetektoren für die Aufklärung von "Gedankenverbrechen" einsetzen sollte – ob nicht bereits bloßes Nachdenken über verbotene Aktivitäten eine Straftat sei.

Heute, ein halbes Jahrhundert danach, hat der Islam als Feindbild Nummer eins den Kommunismus abgelöst. Und Lügendetektoren könnten durch "Gehirnscanner" ersetzt werden, um die Überwachung effizienter zu gestalten. Eine "Gedankenpolizei" wäre neben den Geheimdiensten eine neue Möglichkeit, den Menschen, vor allem den Intellektuellen, Wissenschaftern, Künstlern und den wilden Mäusen unter ihnen auf die gedanklichen Schliche zu kommen und sie aus dem Hirnverkehr zu ziehen. Herr Minister Sobotka, träumen Sie vielleicht davon, die künftigen Denkprozesse zu dirigieren?

Dem Minister die Absicht zu unterstellen, den Muslimen ihren Status als vom Staat anerkannte Religion wegzunehmen, wäre zu weit hergeholt. Den Vorwurf zu erheben, nicht nur die notwendigen Maßnahmen gegen radikale Islamisten zu ergreifen, sondern gegen den Islam insgesamt zu zündeln, ist berechtigt.

Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sollten deshalb schleunigst dafür sorgen, dass der Anti-Islam-Paragraf aus der Punktation von Sobotkas Doktrin entfernt wird.

Die Debatten werden ohnehin weitergehen – überall, wo der freie Geist weht. Dieses Klima auch zu garantieren ist ein Beitrag zu mehr Sicherheit in Österreich. (Gerfried Sperl, 6.3.2017)