Istanbul/Ankara – Rund sechs Wochen vor dem Referendum über eine Verfassungsänderung wächst die Anspannung in der Türkei. Deswegen wird von der regierenden AKP systematisch das Wort "Nein" aus dem öffentlichen Raum entfernt. In der Stadt Kocaeli wurde nun deswegen das Layout der Wasserrechnungen verändert, wie die regierungskritische Tageszeitung "Birgün" am Donnerstag berichtete.

Auf den Rechnungen stand bisher "Nein zur Wasserverschwendung". Dieser Spruch, der die Menschen zum Wasser sparen animieren sollte, wurde nun gestrichen. Jetzt steht dort "Sauberes Wasser ist ein Menschenrecht. Eine gesunde Produktion von uns, ein sparsamer Verbrauch von euch. Wir erhalten Kraft aus dem Wasser." Von einem "Nein" ist auf der gesamten Rechnung keine Spur mehr zu sehen.

Uneingeschränkte Macht

Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP wirbt mit allen Kräften für die von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Einführung des Präsidialsystems in der Türkei. Am 16. April ist eine Volksabstimmung geplant, bei der die Bürger mit "Ja" oder "Nein" über die Verfassungsreform abstimmen können.

Stimmt eine Mehrheit für "Ja", wird das parlamentarische System durch ein Präsidialsystem abgelöst, welches aber völlig anders als etwa in den USA eine praktisch uneingeschränkte Machtkonzentration beim Präsidenten bedeuten würde.

Um die Zustimmung zu sichern, muss nun aus Sicht der Regierung offenbar jedes "Nein" aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Mitte Februar wurden laut türkischen Medienberichten in Teilen des Landes Hunderttausende Antiraucherbroschüren des Gesundheitsamts zum Thema Nikotinentwöhnung entfernt. Denn die darauf zulesende Botschaft, dass wer "Nein" sagt, alles richtig macht, möchte die AKP-Regierung nicht verbreiten, berichtete etwa die regierungskritische "Diken".

Die Satirezeitung "Zaytung" freute sich über das Tilgen des Wortes "Nein" aus der Öffentlichkeit und witzelte, dass Rauchen bis zum Referendum keinerlei Gesundheitsschäden mit sich bringe – das Gesundheitsministerium habe es versprochen.

Auch ein staatlicher Fernsehkanal machte bei der Anti "Nein"-Kampagne mit. Digitürk, der größte türkische Pay-TV-Sender, hat den Film "No" über das Abwahlreferendum des Diktators Pinochet in Chile aus seinem Angebot genommen. Der Film handelt von einer großen PR-Kampagne, die sich 1988 gegen die Wiederwahl Pinochets aussprach. In den letzten Tagen wurde laut Medienberichten der 2012 veröffentlichte Film um ein Vielfaches mehr als sonst abgerufen. Nun hat Digitürk ihn ohne Angabe von Gründen aus dem Sortiment gestrichen. In der regierungskritischen Tageszeitung "Cumhuriyet" wurde auch in diesem Fall gemutmaßt, dass diese Maßnahmen dazu dienten, ein "Nein" aus der Wahrnehmung zu streichen. (APA, 3.3.2017)