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Kundgebungen aus Solidarität mit Deniz Yücel finden seit Tagen statt. Auch am Dienstag demonstrierten Menschen in elf Städten Österreichs, Deutschlands und der Schweiz.

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In Graz trafen sich Journalisten, Schriftstellerinnen, Theatermacherinnen und Aktivisten am Dienstag am Südtiroler Platz. Die Idee zum Grazer Korso entstand am Montagabend unmittelbar als bekannt wurde, dass Yücel in Untersuchungshaft genommen werden sollte. In der Feinstaubhochburg war sofort klar, dass man nur einen Fahrradkorso machen wollte.

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Sammelpunkt am Südtiroler Platz in Graz.

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Foto: AP /Markus Schreiber

Ankara/Berlin/Wien – Auf Deniz Yücel und die sich abzeichnenden neuen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei ging Tayyip Erdoğan am Dienstag bei dem üblichen Auftritt vor Journalisten vor Beginn einer Auslandsreise gar nicht erst ein. Dafür griff der autoritär regierende türkische Staatschef in eine andere Mediensache ein.

"Ungezogen" und "gemein" nannte Erdoğan einen Bericht des türkischen Massenblatts "Hürriyet" vom vergangenen Samstag. Darin ging es unter dem Titel "Unruhe im Generalstab" um angebliche Klagen innerhalb der Armeeführung über die Politik. Ein Zeitungschef, der eine solche Schlagzeile zulasse, sei unfähig, erklärte Erdoğan. Knapp eine Stunde später wurde die Entlassung des "Hürriyet"-Chefredakteurs Sedat Ergin bekanntgegeben. Seinen Platz übernimmt der Kolumnist Fıkra Bilet, ein Veteran des türkischen Journalismus, der große Umsicht im Umgang mit Präsident und Regierung walten lässt.

Ermittlungen gegen "Hürriyet"

Gegen "Hürriyet" leitete die Staatsanwaltschaft am Montag bereits Ermittlungen wegen des Artikels ein. Am selben Tag ordnete ein Richter auch die Übernahme des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in die Untersuchungshaft an – zusammen mit acht anderen türkischen Kollegen. Yücel kam 2015 aus Berlin nach Istanbul als Korrespondent für die Tageszeitung "Die Welt". Laut Protokoll der Gerichtsverhandlung, aus dem die Deutsche Presse-Agentur zitierte, wird ihm Propaganda in Artikeln für die PKK wie für die Gülen-Bewegung vorgeworfen.

In Deutschland ist die Empörung über die Entscheidung groß. Kanzlerin Angela Merkel nennt Yücels Haft "bitter und enttäuschend" und erklärt: "Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und sich für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat." In Richtung Ankara sagte Merkel, die Bundesregierung "erwartet, dass die türkische Justiz in ihrer Behandlung des Falles Yücel den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft berücksichtigt".

Am Dienstagabend wurde der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, ins Auswärtige Amt in Berlin zitiert.

Maas mahnt Einhaltung von Grundwerten ein

Der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) warnte, dass "eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich" werde, wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte. Mit Blick auf Auftritte türkischer Politiker in Deutschland betonte er zudem: "Wer bei uns Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten."

Am Samstag vor einer Woche war der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen). Dort warb er vor rund 10.000 Anhängern für das Verfassungsreferendum in der Türkei, mit der Präsident Erdoğan ein Präsidialsystem nach seinem Geschmack einführen will.

Auch in Deutschland sind am 16. April bei der Volksabstimmung 1,4 Millionen Türken wahlberechtigt, Erdoğan selbst will angeblich auch noch einmal persönlich in Deutschland werben. Dafür gibt es scharfe Kritik von Grünen-Chef Cem Özdemir: "Propaganda für einen Folter- und Unterdrückungsstaat hat in unserem Land nichts verloren." Den Grünen missfällt auch, dass Merkel vor dem Referendum noch einmal in die Türkei fahren will: "Das kann nur als Unterstützung für Erdoğans Weg in die Diktatur gewertet werden."

"Höflich mitgeteilt"

Unbeeindruckt reagierte Außenminister Sebastian Kurz auf Kritik aus Ankara ("unverantwortlich", "islamophob", "rassistisch") im Zusammenhang mit möglichen Wahlkampfauftritten Erdoğans im Ausland. Sebastian Kurz wiederholte vor Journalisten am Dienstag seinen tags zuvor erklärten Standpunkt: Eine solche Rede hätte rein innenpolitischen Charakter. "Das ist unerwünscht, damit würde die Polarisierung in der Türkei nach außen getragen. Das würde der Integration (der Türken) in Österreich keinen guten Dienst erweisen. Ich bleibe dabei", so Kurz, der auch Integrationsminister ist. "Wir haben unsere Meinung höflich, aber auch sehr klar mitgeteilt."

In Wien und mehreren deutschen wie auch Schweizer Städten hatten Unterstützer Yücels am Dienstag zu Autokorsos aufgerufen.

Demo in Wien am Dienstagabend:

derStandard.at

(Markus Bernath, Birgit Baumann, Gianluca Wallisch, Colette M. Schmidt, 28.2.2017)