Wenn die frischen Wunden nicht mehr heilen und die alten für Albträume sorgen: Hugh Jackman als devastierter "Wolverine".

Foto: Twentieth Century Fox

Wien – Woran kann man noch glauben, wenn man keine Ideale mehr hat? Wenn sich die Vorbilder, und seien es nur solche in einem Comicheft, als falsch erweisen, weil sie all die Hoffnung, die man in sie investiert hat, nicht erfüllen? Doch sind andererseits nicht gerade diese Helden die wahren, weil es sie in Wirklichkeit gar nicht gibt und man sich deshalb unmöglich vorstellen kann, von ihnen enttäuscht zu werden? Doch dann stehen sie eines Tages plötzlich da und brüllen einem ins Gesicht: "It's a big fucking lie!"

20th Century Fox

Weil es allerdings ein angebliches Vorrecht der Jugend ist, den Alten nicht zu trauen, glaubt auch das junge Mädchen dem bereits ergrauten Mann nicht, dem die Aufgabe zugefallen ist, sie zu beschützen. Laura (Dafne Keen), ausgebrochen aus einem mexikanischen Labor, wo es zu Versuchszwecken gefangen gehalten wurde, schweigt lieber und lässt sich nichts sagen. Eden heißt ihr Ziel, es soll in North Dakota liegen und so aussehen, wie es in ihrem Comic gezeichnet ist – ein Ort, an dem junge Mutanten wie sie in Sicherheit leben können.

Denn die alten sind bereits nahezu verschwunden, ebenso wie die X-Men, die ihren langen Kampf um ihre Anerkennung verloren haben. Von ihnen geblieben ist nicht mehr als ein spärlicher, verstreuter Rest, die Letzten ihrer Art. Kein anderer Film der gesamten X-Men-Reihe hat den Untergang in einem solchen Ausmaß und mit solch brutalem Realismus zelebriert wie Logan.

Dystopisches Szenario

Mit diesem Film setzen Regisseur und Autor James Mangold und Hugh Jackman, der die Rolle des in Sekundenschnelle regenerationsfähigen Mutanten Wolverine seit mittlerweile siebzehn Jahren verkörpert, einen Endpunkt. Logan ist somit auch der Abschluss des Wolverine-Spin-offs, das als Franchise der Marvel-Serie zur Seite gestellt wurde und in dem der Sympathieträger der X-Men ein Eigenleben führen durfte. Es war ein Leben, das gut zu dem griesgrämigen Außenseiter mit dem markanten Backenbart passte, der sich nirgendwo richtig zu Hause fühlen wollte und dessen Leidensfähigkeit nicht nur in zahllosen Kämpfen, sondern auch in wiederkehrenden Albträumen auf die Probe gestellt wurde.

Der Tonfall des Abgesangs beherrscht diesen Film somit von Beginn an, wenn Logan ein Leben im Ausgedinge fristet und sich als Chauffeur von Luxuslimousinen über Wasser hält, während er auf Hochprozentiges zurückgreift. So wie Professor Xavier (Patrick Stewart), ehemaliger Mentor und Mastermind der X-Men, sich in einer apokalyptischen Industrieruine im mexikanischen Grenzgebiet gerade noch am Leben hält.

Foto: Twentieth Century Fox

Zwischen Roadmovie und Western angesiedelt, bettet dieser Superheldenfilm, der gar keiner mehr sein will, seine Erzählung in ein verwüstetes Szenario, das sich an Dystopien wie Mad Max oder The Book of Eli orientiert. Und auch wenn es in Logan jene Widersacher in der Gestalt böswilliger Verfolger gibt, ohne die diese Erzählung über Flucht und mögliche Freundschaft nicht auskommen kann, ist der wahre Feind für Logan doch die Zeit: Er, der aufgrund seiner Fähigkeit alle anderen überlebt, kann diese als Fluch nicht länger ertragen.

Selbstbestimmtes Ende

Mit dem Bild des Beschützers bricht Logan dabei in einem fort: In einem billigen Hotelzimmer, in dem haltgemacht wird, läuft etwa der Westernklassiker Shane, in dem sich der Revolverheld der Bewunderung eines Jungen entziehen muss. Mit Laura, die dieselbe Mutation besitzt wie ihr Begleiter, dreht sich dieses Vater-Tochter-Verhältnis jedoch ins Gegenteil.

"Bad shit happens to people I care about." Für jemand anderen ein letztes Mal da zu sein und gleichzeitig mit sich selbst abzuschließen, das hat in Logan jedoch weniger mit dem Habitus der Aufopferung zu tun als mit Selbstbestimmung. Natürlich wäre kein anderes Ende dieser Figur denkbar, und dass es Jackman in einer Doppelrolle schließlich auch noch mit seinem jüngeren Alter Ego namens X-24 zu tun bekommt, ist ein bezeichnendes Fanal.

X-Men Origins: Wolverine, der erste Teil der Saga, begann mit einer Szene, in der Logan als kleiner Junge im Zorn einen Mann tötete, von dem er nicht wusste, dass er sein Vater war. Auch in dieser Hinsicht beschließt Logan ein jahrelanges und ein sich in seiner Erzählung über Jahrhunderte erstreckendes Kapitel. Oder, wie der bärbeißige Held zu seinem langjährigen Weggefährten zu Recht feststellt: "The world is not the same as it was." (Michael Pekler, 1.3.2017)