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Der 1. März ist – zumindest in den USA – der Tag des Schweins. Das war für den Autor Arnon Grünberg aber nicht der Grund, das Handwerk des Tötens zu lernen.

Foto: Picturedesk / Ingo Wagner

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"Von jemand wie Bob würde ich auch geschlachtet werden wollen. Das Ferkel wird an einem Haken aufgehängt, der Hals wird schnell durchgeschnitten. Kurzes Muskelzucken."

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Arnon Grünberg, geb. 1971, ist niederländischer Erfolgsautor. Er lebt seit 1995 in New York. Zuletzt erschien sein Roman "Muttermale" bei KiWi (2016).

Foto: Jaap de Wit Jr

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung der Reportage von Arnon Grünberg. In ganzer Länge gibt es sie in der Ausgabe vom 6. April des Magazins REPORTAGEN zu lesen. Leserinnen und Leser von DER STANDARD können unter dem folgenden Link ein kostenloses Kennenlernexemplar anfordern: http://reportagen.com/standard

Muss man bereit sein zu töten, um zu leben? Steckt im Lebenswillen nicht viel eher als die Bereitwilligkeit, einem anderen das Leben zu nehmen, die Notwendigkeit, das eigene Leben zu schützen? Diese Fragen beschäftigten mich während meiner Reisen durch die Kriegsgebiete im Irak und in Afghanistan.

Als ich im letzten Sommer die Einsätze des notfallpsychiatrischen Dienstes in Rotterdam begleitete, stellte ich mir die Frage, wie weit medizinische Hilfeleister gehen müssen, um den Selbstmörder von seinem Vorhaben abzuhalten. Ist Leben eine Pflicht? Und was ist dann Töten? Ein notwendiges Übel oder ein Privileg? Um diese Frage zu beantworten oder wenigstens den Versuch dazu zu wagen, wollte ich in diesem Sommer bei Schlachtern im Betrieb mitlaufen, sozusagen "embedded."

Irgendwo im Quadrat mit den Eckpunkten Soldat, Selbstmörder, Helfer, Schlachter befindet sich das Leben. Je älter ich werde, desto mehr kommt es mir vor, als gäbe es keinen großen Unterschied mehr zwischen dem Hunger nach Leben und dem Hunger nach Tod, der dem Menschen scheinbar auch inhärent ist. Alles dreht sich um das Hungern; wonach man hungert, das ist weniger wichtig.

Cesare Pavese publizierte Tagebücher und Briefe unter dem Titel Das Handwerk des Lebens. Er schrieb: "Der Tod wird kommen und deine Augen haben." Wenn Leben ein Handwerk ist, dann muss es auch das Töten sein; vielleicht ist Totsein ein Handwerk.

Der Geruch frischen Blutes

An einem Montagmorgen um sechs Uhr in der Früh sitze ich in der Kantine des Abattoir Noord-Holland, einer kleinen Schlachterei in Oost-Graftdijk. Ihr Besitzer ist Bob Bakker, ein magerer, aber muskulöser Mann in den Dreißigern, schätze ich, mit großen Ohren und einem eindringlichen Blick. "Heute schlachten wir Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe. Keine Pferde", sagt Bob. Am anderen Ende des Tisches sitzt Edwin. Edwin ist von der VWA, der niederländischen Lebensmittel- und Warenbehörde. Er kontrolliert die Tiere. "Offiziell geben wir der Presse keine Auskunft", sagt Edwin. "Dafür sind unsere Pressesprecher zuständig." Ich ziehe den Schluss, dass weitere Fragen auf Granit stoßen werden. Wir gehen nach unten, wo sich das Schlachthaus und die Ställe befinden, der Ort, an dem die Tiere auf ihr Schicksal warten.

Edwin schiebt einer Kuh ein Fieberthermometer in den Hintern. Danach zeigt er Bob das Thermometer. "Keine Diskussion möglich", sagt Bob. "Die Kuh hat Fieber. Schlachtverbot. Die kommt in den Abdeckerwagen. Die wird danach verbrannt." Der Abdeckerwagen holt die Tiere ab, denen ein Schlachtverbot auferlegt wurde. Das Thermometer wird abgewischt. Bobs Blick erinnert mich an den Blick, den ich bei einigen Soldaten gesehen habe. Er starrt in die Ferne, als gäbe es hinter dir etwas zu sehen, und wie freundlich er auch ist, seine Augen lachen nie. Wir betreten das Gelände. Bob sagt: "Dort fährt der Abdeckerwagen." Er zeigt auf so etwas Ähnliches wie einen Kleinlaster, der über den Deich fährt. "Ich rufe ihn gleich an", sagt Bob.

Da steht ein Ferkel in einer kleinen Box, in der man es betäuben wird oder genauer gesagt hirntot machen wird. "Es ist wichtig, dass das Herz noch schlägt", sagt Bob. "Sonst kommt das Blut nicht gut raus." Der süßliche Geruch des frischen Bluts ist weniger schlimm, als ich ihn mir vorgestellt habe. "Die Schweine betäuben wir nicht mit einem Bolzenschussgerät", sagt Bob. "Denn das löst bei ihnen Zuckungen und Krämpfe aus, die zu Punktblutungen führen, roten Pünktchen im Fleisch. Das mag der Konsument nicht." Bob packt die Elektroschockzange. Die Zange gibt einen Piepton ab, wenn das Schwein hirntot ist. Bob umklammert fachmännisch den Kopf des Ferkels, ich würde es schon beinah als liebevoll bezeichnen. Von jemand wie Bob würde ich auch geschlachtet werden wollen. Das Ferkel wird an einem Haken aufgehängt, der Hals wird schnell durchgeschnitten. Kurzes Muskelzucken. "Es hat sein Bewusstsein verloren", sagt Bob, "das kannst du kontrollieren, indem du ihm die Hand vor die Augen hältst. Es hat keine Reflexe mehr." Man hält dem Ferkel eine Hand vor die Augen. Nein, es hat keine Reflexe mehr.

Ohren halb abgeschnitten

Wenn das Schwein etwas entblutet ist, das heißt wenn das meiste Blut herausgeflossen ist, wird es in eine Maschine mit heißem Wasser gelegt, die mich an einen Wäschetrockner erinnert. Die Maschine vibriert. Die Borsten werden eingeweicht. Nach etwa zwei Minuten wird das Schwein herausgeholt. Der Geruch ist unangenehm süßlich, als hätten wir gerade Schweinebouillon ziehen lassen. Die Ohren werden halb abgeschnitten, damit die Ohrmarke noch halbwegs am Schwein baumelt, und ein attraktiver junger Mann mit beeindruckenden Tattoos, Dave, zieht etwas aus den Schweinsklauen. "Was machst du da?", frage ich. "Ich ziehe die Nägel heraus", antwortet Dave. Er zieht dem Schwein die Nägel heraus, so wie andere Champagnerflaschen entkorken.

Nichts wird weggeschmissen, so viel habe ich inzwischen gelernt. Bob hat zu mir gesagt: "Wenn du in einem Schlachthaus 'Darf ich das wegschmeißen?' sagst, wirst du nur um ein Haar nicht standrechtlich erschossen, aber es fehlt nicht viel." Aber die Nägel des Schweines landen auf dem Boden. Ich überlege mir, ob ich einen Nagel als Souvenir mitnehmen soll, sehe jedoch davon ab. Das Radio läuft. Über dem Lärm des Schlachtens tönt ein Hit. In der nächsten Phase werden die letzten Borstenhaare abgebrannt. Ich würde nichts lieber sagen wollen als "Es gibt nichts Herrlicheres in der Frühe als den Geruch verbrannter Schweinsborsten." Leider ist das nicht wahr.

Anschließend wird das Schwein aufgeschnitten, und seine Innereien werden fachmännisch herausgeholt. Hans, ein Mann in den Fünfzigern, der seit zwei Jahren bei Bob arbeitet, macht das heute Morgen. Es gibt auch noch einen anderen Hans, der ist Miteigentümer der Schlachterei. Er arbeitet heute auch mit. Die Eingeweide werden neben das Schwein gehängt, denn die müssen auch zur Kontrolle angeboten werden. Die Schweinsklauen werden mit Nummern versehen. Lunge, Herz, Leber, Nieren, Milz des Schweines sind wunderschön, das Gegenteil von eklig. So wie sie da nebeneinanderhängen, hat man das Gefühl, als betrachte man ein Stillleben. Der Schlachter ist auch Maler.

"Fly me to the moon"

Nach den Schweinen sind die Lämmer dran. Sie werden mit einem Bolzenschussgerät betäubt und danach aufgeschnitten. "Wenn du rumschreist, werden sie total verrückt", sagt Bob. "Wenn du selbst ruhig bist, sind die Tiere auch ruhig." "Fly me to the moon", singt Hans, bevor er die Lämmer mit dem Bolzenschussgerät hirntot macht. Wäre es nicht gut für diese Reportage, wenn ich selbst auch ein Lamm töten würde? Wäre es nicht gut für mich als Menschen, das Handwerk des Tötens zu lernen?

Heute schlachten wir elf Schafe, zwei Ponys, 21 Rinder und 17 Schweine. "Die Ponys sind kugelrund", sagt Bob, "in Frankreich macht man aus ihnen Salami, aber in den Niederlanden kauft das keiner. Das wird Tierfutter. "Wieso schlachten wir Ponys?", informiere ich mich. "Der Besitzer bekam Q-Fieber, er konnte sie nicht mehr halten." Alle Tiere haben eine persönliche Identifikationsnummer, die es theoretisch ermöglicht, jederzeit herauszufinden, welches Stück Rindfleisch zu welcher Kuh gehörte, aber Pferde und Ponys haben Namen. Heute schlachten wir Sabrina und Pebbles. Die Pferdeausweise liegen auf dem Tisch – Ponys gelten als Pferde. Nachher, wenn die Tiere untersucht sind, werden ihre Pferdeausweise mithilfe eines Lochers ungültig gemacht, vermutlich um einen möglichen Missbrauch der Pferdeausweise auszuschließen. Es wird langsam Tag, auf den Feldern liegt Tau. "Hast du gut geschlafen?", frage ich Bob. "Ich habe mich herrlich an den Körper meines Chicks gekuschelt", antwortet Bob.

Menschen sind für ihn auch Tiere. Was sieht er in mir? Einen Fuchs, der abends durch die Vorstadt streunt und einen Abfalleimer nach dem anderen plündert? Von unten her ertönt das Geräusch der Schleifmaschine – als würde ein schwer beladener Güteraufzug hochgezogen. Zuerst die Schweine. "In der Schlachterei arbeiten beinahe keine Frauen", sage ich zu Bob. "In den großen industriellen Schlachthöfen schon", antwortet Bob. "Polnische Frauen. Oft auch noch eine Augenweide. Was sie hier verdienen, ist dort ein Vermögen."

An den Tod gewöhnt

In einer knappen halben Stunde sind vier Schweine tot. Ich wundere mich darüber, wie schnell man sich an den Tod gewöhnt. Als würde ich seit Jahren in Gummistiefeln zwischen Blut, Fett und Eingeweiden herumwaten. Wenn man der werden muss, der man ist, dann weiß ich, wer ich bin: ein selbstbewusster, anständiger Mörder. Bloß an das Radio kann ich mich nicht gewöhnen. Ich würde lieber mit Tschaikowsky schlachten, mit dem Finale aus Schwanensee.

Ein junger Mann mit einer geistigen Behinderung arbeitet als Knecht, um die Ställe zu reinigen. Auch begleitet er, manchmal mit einem Stromstock, die Kühe zu den Boxen, in denen ihre Verwandlung in ein Entrecote beginnt. "Es macht nicht gerade viel Spaß", sagt er, "aber du hast doch auch gern ein schönes Stück Fleisch auf dem Teller?" Und dann muss er schon wieder hinter einer Kuh her. Sie sträubt sich. Tja, es gibt wohl kaum einen Todeskandidaten, der aus freiem Willen in den Exekutionsraum hineinspaziert. Ich sehe die Verletzlichkeit des Seins. Es ist nicht einfach, damit zu leben.

Im Hotel wartete meine Verlobte auf mich. Inmitten der Blutlachen fasse ich den Entschluss, mit ihr Schluss zu machen. Dann überlege ich mir, dass ich sie eigentlich lieber totficken würde. Ich werde aus dem Bett ein Meer aus Därmen, Lungen, Nieren, Blut und Scheiße machen. Ich war noch nie so geil wie im Schlachthaus.

Die Kuh fällt um

Etwa 80 Kilometer nördlich von Berlin liegt das Städtchen Neuruppin. 1999 gründete die Familie Hesterberg etwas außerhalb von Neuruppin auf weitem Ackerland Gut Hesterberg. Auf diesem Weideland grasen heute etwa sechshundert Schlachtkühe, es spazieren sechshundert Gänse darauf herum, die nur zu Weihnachten geschlachtet werden, und an die tausend Legehennen. Nachdem die Legekapazität der Hennen abgenommen hat, werden sie nicht geschlachtet, sondern an Privatpersonen verkauft.

Auf dem Weg zum Landgut bekommt man das Gefühl, man sei in Texas. Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Gebäude auf, das man ruhig ein Schlösschen nennen könnte. In diesem Schlösschen wird geschlachtet, da gibt es ein Restaurant, und es werden diverse Wurstsorten hergestellt. Man kann Gut Hesterberg auch für Hochzeitsfeiern mieten.

Ich werde von Gerry Weber empfangen, dem Mann von Karoline Hesterberg, die ihre Doktorarbeit über den mobilen Hühnerstall geschrieben hat. Wenn man einen Hühnerstall so entwirft, dass er mobil ist, müssen die Hühner nicht täglich auf demselben Stück Land herumpicken, wodurch die Eier besser werden. Je besser es dem Tier zeit sei- nes Lebens ging, desto größer wird der Genuss des Konsumenten, so viel habe ich inzwischen verstanden. Stress beim Schlachten etwa ist schlecht für den Geschmack des Fleisches. Gerry trägt Jeans, darüber ein weißes Hemd und eine blaue Jacke. Er hat die Jovialität eines herausragenden Hoteliers. Heute werden wir vier Kühe schlachten. Auf Gut Hesterberg wird einmal pro Woche geschlachtet. Sie halten hier vor allem Galloway-Kühe, steigen aber langsam um auf Charolais.

Yogalehrer unter den Schlachtern

Das Besondere daran ist, dass die Kühe noch auf natürliche Art vom Stier begattet werden. Das ist nicht immer gefahrlos. So zog sich ein Stier beim Bespringen der Kühe eine Schulterverletzung zu, weswegen man ihn töten musste. Detlev ist der Schlachter. Die Berliner Morgenpost beschrieb ihn als den Yogalehrer unter den Schlachtern. Ich gebe der Zeitung recht. Mit bewundernswerter Ruhe führt er die Kuh in die Box. Dann klettert er auf eine Treppe, damit das Tier ihn nicht sehen kann, und setzt der Kuh das Bolzenschussgerät auf den Kopf. "Man muss sich zwischen den Augen und den Ohren ein Kreuz vorstellen. Genau auf den Punkt, an dem sich die beiden Linien schneiden, musst du zielen." Die Kuh fällt um. Hier darf ich selbst auch mit anfassen. Ich ziehe der Kuh die Haut ab. Es ist erstaunlich, wie einfach sich die Haut von dem Tier löst, das vor drei Minuten noch lebte. Eigentlich ist es eine liebevolle Arbeit. Es ist ein klein wenig so, als würde ich meine Verlobte streicheln, üblicherweise ohne Messer. Man entnimmt der Kuh den Pansen, er bleibt warm auf dem Boden liegen. Es ist ein Wunder, wie viel Scheiße in einer Kuh drinsteckt.

Hier auf Gut Hesterberg, wo nur vier bis sechs Kühe pro Woche geschlachtet werden und die Kühe so lange wie möglich ein artgerechtes Leben führen, schlachten sie zu zweit. Der eine schaufelt die Scheiße in eine Schubkarre, während der andere die Kuh halbiert. Da das Schlachten hier in keiner Weise etwas mit einem industriellen Prozess zu tun hat, gleicht das Töten und Entbeinen einem Ritual. Hier wird ein Opfer dargebracht, aber welchen Gott muss man günstig stimmen? Im alten Jerusalem waren die Priester, die die Opfer darbrachten, Schlachter. Man kann Tieropfer als Mittel gegen ein schlechtes Gewissen betrachten: Gott isst auch Fleisch.

"So stur können bloß Frauen sein"

Jonathan Safran Foer behauptet in seinem Buch Eating Animals, dass es keinen guten Grund dafür gebe, Kühe, jedoch keine Haustiere zu essen – außer der Sentimentalität. Ist Sentimentalität ein guter Grund? Weshalb ist Kannibalismus in so ziemlich allen Kulturen ein Tabu? Aus welchem Grund verbietet das Alte Testament ausdrücklich Menschenopfer, obwohl Gott Abraham nur um ein Haar seinen Sohn Isaak hätte opfern lassen?

Eine Kuh sträubt sich, sie will nicht in die Box. Als ich mich ihr nähere, flüstert Detlev mir zu: "weg". Sie brauchen beinahe eine Viertelstunde, um die Kuh in die Box zu ziehen. Dann ist es so weit. "So stur können bloß Frauen sein", sagt Detlev nach dem Töten. Er gibt mir ein Messer und lässt mich die Eingeweide aus der Kuh schneiden. Die Eingeweide, ich trage keine Handschuhe, fühlen sich angenehm an. Lauwarm. "Was ist das?", fragt Detlev. "Keine Ahnung", sage ich. "Die Milz." Der Tierarzt erscheint, um die Kadaver zu kontrollieren. Er ist auch Jäger. "Die Tiere werden hier zu Tode gestreichelt", sagt er. Später sagt er: "Die Tiere riechen das Blut. Sie denken sich: Was steht mir da denn bevor?"

Im Restaurant esse ich zusammen mit Gerry und seiner Frau Karoline ein Entrecote. Mein erstes Stück Fleisch, seit ich mit der Schlachterei begonnen habe, es schmeckt ausgezeichnet. "Wir essen eigentlich nur aus beruflichen Gründen Fleisch", sagt Karoline, um hinzuzufügen: "Schweinefleisch müsste verboten werden, jedenfalls das billige Schweinefleisch." Beim Abschied sagt Gerry: "Du musst wiederkommen. Dann werden wir uns betrinken." Mir wird klar, dass auch Gerry und seine Frau sich nicht nur mit Kühen abgeben können, egal ob diese tot oder lebendig sind.

Die Schweine an den Haken

"Mein Vater war ein Meister in seinem Fach", sagte Rob Lunenburg. "Fand ich total cool. Ich habe in Italien in der Fleischindustrie gearbeitet, in Frankreich." Früher hieß der Betrieb Lunenburg Vlees, damals wurde noch in Oudewater geschlachtet. Jetzt ist er ein Teil von Westfort, und die Schweine werden in Gorinchem geschlachtet und hier entbeint. In Oudewater arbeiten ungefähr vierhundert Leute. Polen, Bulgaren, Tschechen, Kapverdier und Niederländer. Um Punkt vier Uhr in der Früh setzt sich das Schlachtband in Bewegung. Die Schweine an den Haken fangen an, hin und her zu baumeln. Die Arbeiter in Firmenkleidung stehen bereit, die Messer sind geschliffen. Die Fabrik ist auch eine Theaterproduktion. An der Farbe der Lampen, die an strategischen Orten über dem Schlachtband hängen, kann man sehen, was gerade entbeint wird. Die Bioschweine waren schon an der Reihe, es waren nur wenige. Jetzt leuchtet die Lampe gelb, das heißt, dass Tiere aus der Tierverkehrsdatenbank (TVD) entbeint werden.

Wir sitzen in der Kantine. Ich habe den Eindruck, dass Polen bei Polen, Bulgaren bei Bulgaren sitzen. "Nachher, um acht Uhr, essen einige einen Hamburger", sagt Rob. "Aber dann liegt ja auch ein Arbeitstag hinter ihnen. Und wenn zwei sich kloppen, dann fliegen gleich beide raus. Das geht gar nicht, bei all den Messern."

Wir gehen zurück in die Fabrik, nachdem wir den dazu notwendigen Hygienemaßnahmen wieder entsprechen. Ein Experte, der nichts mit Westfort zu tun hat, teilte mir per E-Mail mit: "Roboter sind sauberer und leichter zu desinfizieren als Menschen. Sie können auch im Dunkeln und in der Kälte arbeiten." Wenn es sich um Billigarbeit handelt, lohnt sich die Roboterisierung nicht."

Jedes Teil ist anders

Per E-Mail teilt mir Westfort noch mit, dass Roboterisierung auch nicht in ihre Firmenstrategie passt: "Es ist nicht so einfach, Roboter gewisse Arbeitsgänge ausführen zu lassen. Schweinefleisch ist ein Naturprodukt, ein Roboter müsste in der Lage sein, das Stück Fleisch fehlerfrei zu 'scannen'." Jeder Schinken oder jedes Teil ist schließlich anders. Das funktioniert (noch) nicht optimal. Dazu kommt noch, dass viele unserer Produkte Spezialanfertigungen für Kunden sind. Jeder Kunde hat so seine besonderen Wünsche. Auch das funktioniert (noch) nicht optimal. Aus praktischer Sicht ist der Einsatz eines Roboters nicht wünschenswert." Das Wort "Naturprodukt" tut mir gut. Wird es eine Zeit geben, in der Schweinefleisch kein Naturprodukt mehr sein wird?

Ich darf neben Adri, der kurz vor seiner Pension steht, Schwarten wegschneiden. Warmes Fleisch, kurz nach der Schlachtung, lässt sich einfacher wegschneiden als abgekühltes Fleisch. "Die Jungs, die nur entbeinen, werden pro Stück bezahlt", sagt Rob, "aber nur bis zu einer gewissen Stückzahl, denn sonst entbeinen sie nicht mehr sorgfältig." Mir fällt ein polnisches Mädchen mit knallrotem Lippenstift auf. Ihr Blick ist eindringlich, als sähe sie Wasser brennen. Während der Arbeit wird kaum gesprochen. "Die Jungs müssen früh raus", sagt Rob. "Sie schuften schwer für ein nicht allzu hohes Einkommen, daran können wir nichts ändern. Aber wir können versuchen, die Arbeitsumstände so angenehm wie möglich zu gestalten."

Zu guter Letzt lege ich neben Libania, einer Frau Anfang fünfzig, schätze ich, Schweinefilets in eine Schachtel. Das tut sie schon seit sieben Jahren. Es macht ihr Spaß. Ihr Mann ist Lastwagenfahrer für Westfort. Manchmal lege ich ein Schweinefilet nicht richtig hinein. "Nein", sagt sie, "die schöne Seite nach oben."

Ich komme nicht als Tieraktivist aus den Schlachtereien, auch nicht als Vegetarier, dessen bin ich mir jetzt sicher. Manche Moralisten mögen das herzlos finden. Das ist es wahrscheinlich auch. Nein, ich fürchte, dass ich eher als Menschenaktivist aus den Schlachtereien komme. (Arnon Grünberg, Album, 25.2.2017)