All you need is love. Aber gilt das auch im Fernsehen? Und wie sieht das aus, wenn die Liebe über den Bildschirm flimmert? In den vergangenen Jahren hat sich da vieles verändert. Es ist nicht mehr alles perfekt, die Geschichte endet nicht mehr nach dem ersten Kuss. Alles ist ein wenig räudiger geworden. Zumindest im TV. Im Kino eher nicht so. Deswegen diesmal die zentrale Frage: Sind Serien über die Liebe die besseren Romcoms?

Abgeschwächte Spoilerwarung: Der folgende Text kann Spuren von Inhalten von "Love", "Lovesick", "Fleabag", "Easy", "You Me Her", "Girls", "Grey's Anatomy" und "Ally McBeal" enthalten.

Michaela Kampl: Ja, Serien sind die besseren Romcoms. Zumindest fällt mir aus den vergangenen Jahren kein einziger Film ein, der richtig super war. Und ich bin ein Romcom-Fan. Vielleicht ist es aber auch so, dass alte Romcom-Evergreens wie "Love Actually" ähnlich funktionieren wie derzeit Serien. Mehrere unterschiedliche Handlungsstränge mit unterschiedlichen Charakteren, die aber dann doch irgendwie zusammenhängen. Das hätte auch als Serie gut funktioniert. Was die neuen Serien wie "Easy" super macht und von ihren Vorgängern unterscheidet, ist der Versuch, Paarbeziehungen nicht mehr nur als glossy Frau-trifft-Mann-Schmacht-und-Happy-End-Geschichte zu erzählen. "Easy" geht dorthin, wo's anfängt, schwierig und unangenehm zu werden. Da sind die beiden 15 Jahre zusammen, und dann fehlt der Sex. Da sagt eine, sie sei eh auch vegan, politisch interessiert und würde Radfahren super finden, damit die andere sich für sie interessiert. Ein bisserl genervt hat mich, dass es trotzdem immer gut ausgeht – oder zumindest nicht schlecht. Aber vielleicht muss ein bissi Fluff in den Beziehungsgeschichten bleiben. Auch in denen, die eigentlich flufffrei sein wollen.

Fasching in "Easy". Aber vielleicht ist auch Halloween.
Foto: Netflix

Doris Priesching: Ich kann von mir behaupten, dass ich in der Sache der neuen Romantikkomödien so was von nicht bewandert bin, weil ich schon bei den alten ausgestiegen bin. Es geht halt immer um dieses Zweierdingsbums, das mich in der Eindimensionalität nach kurzer Zeit anödet. Zu Weihnachten bin ich schwach geworden und habe mit "Sex Tape" begonnen, es war zum Schreien, so furzblöd! Ganz schrecklich auch zuletzt "Monsieur Claude und seine Töchter". Das sind billige Schmähs, Frauen kommen fast immer trottelig weg. Wer braucht so was? Nicht einmal, wenn es mir ganz, ganz schlecht geht – dann erst recht nicht, weil es einem dann nur noch schlechter gehen kann. Ein Elend, diese biederen Mann-Frau-Beziehungsentwürfe, für mich ist das ein echter Backlash und richtig problematisch. Umso glücklicher bin ich mit "Fleabag".

Daniela Rom: Hin und wieder so ein Liebe-Friede-Freude-Eierkuchen-Film, warum nicht? Aber ja, ich gebe dir recht, meistens ist es einfach seichter, stumpfsinniger Mist. Also die Romcoms als Filme. Bei den Serien bin ich tatsächlich gnädiger. Das liegt vor allem daran, dass die Erzählung hier mehr Zeit hat und die Charaktere langsam dreidimensionaler werden können. "Love", "Lovesick", "Easy", "Fleabag", "You Me Her" habe ich in letzter Zeit gesehen – und ich habe mich gut amüsiert. Was mir aber auffällt, und da nehme ich jetzt auch noch "Girls" als entfernte Verwandte der Romcoms mit: Fast durchgängig sind die Protagonisten Unsympathler und Nervbirnen. Egozentrische, egoistische, neurotische Deppen. Die männliche Hauptfigur in "Love" finde ich kaum auszuhalten. Dieser Gus glaubt ständig, er wird übervorteilt, dabei ist er einfach ein Koffer. Warum Mickey auf ihn steht, verstehe ich bis zum Schluss nicht. Die Frage, die ich mir gestellt habe: War das immer so? Und, was soll ich sagen: ja. Schaut euch all die Romcom-Spaßkisten von Ende der 1990er und Anfang der 2000er an – ganz, ganz selten gibt es da wirklich sympathische Figuren. Was mich zur nächsten Frage bringt: Sind wir auch alle so unsympathisch im echten Leben?

Keine Ahnung, wer unsympathischer ist. "Love" macht's uns schwer.
Foto: Netflix

Michaela Kampl: Na, sicher sind wir alle solche Nervbirnen im echten Leben. Ich glaube sogar, wir sind schlimmer. Ich muss aber auch sagen, mich nerven die meistens nicht. Oder zumindest nicht alle. Die Frauen aus "Girls" mag ich. Und die Männer aus "Girls" mag ich auch. Eben weil sie nicht wissen, was sie wollen, impulsiv und egozentrisch sind. Aber bei "Love" bin ich völlig bei dir. Dieser kleine, mieselsüchtige Wicht, der glaubt, die Welt dreht sich um ihn – wäh. Aber da war der weibliche Konterpart auch nicht besser. Was ich von den aktuellen Liebesgeschichten sehr, sehr gern gesehen habe, war "Lovesick". Da mag ich alle, die mitspielen. Dylan, weil er so ein verplanter Romantiker ist, Evie, weil sie es ganz lange nicht übers Herz bringt, ehrlich zu sich selber zu sein, und Luke, das versteckte Sensibelchen. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass es in Staffel drei etwas ermüdend werden könnte, wenn diese Liebesgeschichte unerfüllt bleibt. Das ist auch ein Grundsatzproblem: Wenn die ganze Spannung darin liegt, ob zwei Personen zusammenfinden, wird das irgendwann fad. Aber es wird auch fad, wenn sie zusammenfinden, denn dann ist die Spannung weg. Das ist ein unlösbares Problem. Fast ein philosophisch-grundsätzliches.

Dylan telefoniert mit irgendwem. Alles, was er will, ist aber Evie.
Foto: Netflix

Anya Antonius: Darum sind die meisten Romcom-Filme ja nach dem letzten Missverständnis, das noch aus dem Weg geräumt werden musste, auch aus. Person X und Person Y sind zusammengekommen, Abblende. Aber das macht schon Sinn, es passt nicht wirklich ins Romcom-Konzept, dem Paar dabei zuzusehen, wie sie beim Ikea darüber diskutieren, welches Sofa gekauft wird, oder sie sich beim Frühstück anschweigen, wenn die Monate und Jahre vergangen sind. Umso interessanter ist das dann bei Serien wie "Master of None", wenn man über mehrere Folgen einen recht natürlichen Beziehungsverlauf mitverfolgen kann, der noch dazu mit einem schlechten One-Night-Stand beginnt. Und was mir noch besser gefällt, ist, dass die Beziehung in der Serie nur ein Bestandteil der Handlung ist und nicht der zentrale Punkt, um den sich alles dreht. Beide haben Jobs, Freunde, Eltern, setzen sich mit Alltagsrassismus und Sexismus auseinander, und dabei ist die Serie nie deprimierend oder überdrüberschmalzig – ich bin ein Fan. Kein Vergleich zu "Love" – ich kann wirklich verstehen, warum die zwei mit keinem Menschen in ihrem Leben eine normale Beziehung haben können, selten waren mir Figuren einer Serie so unsympathisch. Ich hoffe schon, Michi, dass ich zumindest ein bisschen sympathischer bin als die beiden ... Auch in "Girls" mag ich eigentlich keines der Girls zu hundert Prozent, aber es ist über die Jahre ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Okay, ich muss mich korrigieren, Shoshanna liebe ich. Aber auch hier dreht sich nicht alles darum, wer jetzt mit wem zusammenkommt. Ich glaube, das ist mir als Grundlage für eine Serie einfach zu wenig.

Doris Priesching: Ich glaube, dass sich viele dieser neuen Comedys auf "Girls" zurückführen lassen, wo es ja auch zentral um das Räudige in Beziehungsfragen geht und mit dem man sich ja viel eher identifizieren kann.

Daniela Rom: Unlängst habe ich "You Me Her" angesehen. Da fand ich es auch sehr schön gelöst – zum Grundsatzplot: ein Ehepaar knapp vor dem Vierziger, kinderlos auf der Suche nach mehr Erfüllung und dem alten Zauber. Er versucht Pep reinzubringen, indem er eine Escortdame bucht, in die sich dann auch die Ehefrau verliebt. Und dann der Versuch einer Liebe zu dritt. Mehr erzähle ich nicht, weil Spoiler. Aber da hat man es gut zusammengekriegt, diese seltsame persönliche Innensicht der Protagonisten mit einer Geschichte zu verbinden, die einerseits lustig ist, weil sie immer wieder in skurrilen Szenen abdriftet, andererseits aber zugänglich bleibt und irgendwie auch verständlich.

Doris Priesching: Dieses Genre ist grundsätzlich nur dann auszuhalten, wenn es in die Mühen der Ebenen abgleitet, sprich sich an die Peinlichkeit von Beziehungen wagt. Genau das macht "Fleabag". Da finde ich diese Eingangsszene in der ersten Folge schon so großartig, wo sie Analsex hat und der Typ sich danach wie ein Schulbub dafür bedankt, sie aus dem Ganzen mit einer einzigen Frage aussteigt, in der sie sich fragt, ob ihr Arschloch ungewöhnlich groß ist. Size matters, so kann es gehen. Und es bleibt ja nicht dabei, denn "Fleabag" ist ja nicht nur komisch, sondern auch berührend und traurig, Schmerz und Komik liegen nahe beieinander. Phoebe Waller-Bridge wird übrigens als neuer "Dr. Who" gehandelt. Ich glaube zwar nicht, dass sie Chancen gegen die heilige Tilda Swinton hat, aber sie könnte das. Sicher.

Michaela Kampl: Ich glaube, dass sich in den vergangenen Jahren auch etwas getan hat in der Hinsicht, wie die Geschichten erzählt werden – und was alles geht. Erinnert ihr euch noch an "Ally McBeal"? Da war Ally. und ihr Leben drehte sich nur darum, dass es da Billy, ihre Jugendliebe, gab. Und sie war so patschert hilflos. Glaubt ihr, dass so etwas heute noch funktionieren würde?

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Ally umarmt sich selber. Weil Billy sie nicht umarmt.
Foto: REUTERS

Doris Priesching: Hoffentlich nicht! Aber so sicher bin ich mir nicht, wenn ich mir den ganzen Hollywood-Dreck so anschaue. Wobei ich zugeben muss, dass ich viel "Ally McBeal" geschaut habe, ich fand Lucy Liu und Portia de Rossi irre lustig. Billy war natürlich ein Elend, man muss aber immerhin sagen, dass es auch den Männern um nichts anderes ging und eigentlich alle hilflos patschert waren.

Anya Antonius: Ich glaube, das würde noch genauso funktionieren. Schaut euch "Grey's Anatomy" an. Ein Krankenhaus voller weinerlicher Ärzte, die zwischen komplizierten Hirn-OPs immer noch irgendwie Zeit für wahnsinnig nervige Beziehungsgespräche finden, und alle drei Folgen stirbt einer von ihnen. Hier ist ein Tipp: Sucht euch vielleicht einmal Beziehungen oder zumindest irgendwelche Freunde außerhalb vom Seattle-Grace-Krankenhaus, vielleicht wärt ihr dann nicht so hoffnungslos verkorkst und hättet so etwas wie ein richtiges Privatleben, ihr Luschen! Ich finde die Serie ganz furchtbar. Aber sie läuft schon seit gefühlten hundert Staffeln, findet also anscheinend ihr Publikum. "Ally McBeal" habe ich damals schon gern geschaut, da haben sich alle wenigstens nicht so wahnsinnig ernst genommen. Und Jane Krakowski hat mitgespielt, das ist immer gut. Und lustig, ich habe keinerlei Erinnerung mehr an Billy. Gesicht, Handlungsstrang, alles weg.

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Herzschmerz?
Foto: AP Photo/ABC, Adam Taylor

Daniela Rom: Ach, Ally! Da war die Genrezuschreibung auch nicht so richtig klar: War das eine Anwaltsserie? Eine Romcom? Oder doch einfach nur eine Seifenoper? Apropos Seifenoper: Hat jemand von euch "Jane the Virgin" gesehen? Wie bei fast allen Serien war Staffel zwei nur so lala, dennoch ist das für mich die ideale Verknüpfung von seichter Unterhaltung – die auch nie einen anderen Anspruch stellt – und einer dennoch sehr lässigen Serie, die mehr kann, als es scheint. Ich konnte mit Telenovelas nie etwas anfangen, weil mir das einfach zu platt ist – hier wird das ganze Genre auf den Arm genommen, obwohl dann zeitgleich eine Telenovela-Geschichte erzählt wird.

Anya Antonius: Ich habe die erste Staffel gesehen und finde auch, dass sie einiges hergibt, man muss sich halt darauf einlassen. Aber immer, wenn man denkt, das sind jetzt wirklich viel zu viele Klischees auf einmal, werden sie auf intelligente Weise aufgebrochen. Ich mag so was. Hin und wieder aber ist eine Portion Filmkitsch für mich schon okay – und dann gerne so richtig mit Hollywood-Ende am Flughafen. Ich freue mich auch auf die Zehn-Minuten-Fortsetzung von "Tatsächlich Liebe", weil es mich tatsächlich interessiert, was aus den Figuren geworden ist. In Serien brauche ich aber ein bisschen mehr als das, über eine ganze Staffel packe ich das einfach nicht. Daher funktionieren Romcoms als Serie für mich nur bedingt beziehungsweise dauert es richtig lange, bis ich mich zum Schauen überwunden habe. Sind Liebe, Romantik und Beziehungswirrwarr aber organisch in eine selbstständig funktionierende intelligente Handlung eingebaut – immer nur her damit! (Anya Antonius, Michaela Kampl, Doris Priesching, Daniela Rom, 1.3.2017)