1968 gab es noch keinen "Grapsch-Paragrafen": Valie Export lud damals im Namen der Skandalkunst ins "Tapp- und Tastkino".

Foto: Werner Schulz Courtesy VALIE EXPORT

Linz – Es ist in Zeiten, in denen im Vorabendprogramm an Känguruhoden geknabbert wird, Busenblitzer zum guten Poplady-Ton gehören und selbst Dompfarrer Toni Faber einen Palmers-Laden mit Gottes Segen eröffnet, eine durchaus entscheidende Frage: Was ist heute normal, und wo ist der Skandal?

Im Linzer Offenen Kulturhaus nimmt man sich derzeit der Erregung vergangener Tage an und bietet mit der Ausstellung Skandal normal eine fein sortierte Chronologie von gesamt 67 großen und kleineren Kunstskandalen des 20. und 21. Jahrhunderts. Wobei natürlich nicht nur die "Pfui Gack"-Hitliste an sich das Spannende an der über fünf Themenräume angelegten Schau ist.

Vielmehr drängt sich letztlich eine Frage auf: Was ist von den vielen Aufregern im Namen der Kunst übriggeblieben? Was taugt heute noch zum Skandal? Valie Exports Tapp- und Tastkino, die "Uni-Ferkelei" von Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener, Gerhard Haderers Buch Das Leben des Jesus, Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater – vieles erhitzt die Gemüter heute nur mehr mäßig. Quasi amtlich wird diese Gelassenheit in der Ausstellung durch Stempelabdrücke der Besucher. In Wahlkabinen lässt sich der Skandal noch einmal begutachten – und dann mit einem grünen (normal) oder roten (Skandal) Stempel versehen.

Siegeszug der Siegesgöttin

Die Idee zur Ausstellung lieferte übrigens die Siegesgöttin Nike: In den 1970er-Jahren hing die Skulptur anlässlich des sogenannten Forums Metall am Dach der Linzer Kunstuniversität und wurde von den Linzern als "Fetzenvogel" geschmäht. Im Vorjahr feierte die Nike dann ein umjubeltes Comeback als Aushängeschild des Linzer Höhenrausches.

Für Kuratorin Genoveva Rückert ist trotz aller Abgebrühtheit im 21. Jahrhundert, wo sich Updates mit Erregungspotenzial über digitale Kanäle rasant verbreiten, der Skandal in der Kunst "keine Sache von gestern". Es hätten sich nur die Themen verschoben: "Tierschutz ist heute immer ein Aufreger. Heikel ist natürlich die künstlerische Auseinandersetzung mit Glauben und Religion."

Den Veränderungsprozess im Bereich der Skandalkunst macht Rückert gerne auch an jenem zeitgenössischen österreichischen Künstler fest, der wie kaum ein anderer öffentlich und medial angefeindet wurde. Der Weg ins Obergeschoß der Ausstellung ist mit Zeitungsartikeln über Hermann Nitsch austapeziert. "Früher hat man sich über seine Kunst fürchterlich aufgeregt. Heute haben sich rund um Nitsch die Themen verlagert – und es gibt statt dem Kunst- einen Finanzskandal." (Markus Rohrhofer, 22.2.2017)