Sibirien bei minus 25 Grad im Februar zu bereisen – zugegeben, die Reaktionen von Freunden auf die geplante Reise waren durchwegs negativ oder zumindest von Skepsis geprägt. Gemeinsam mit meinem Kollegen Philipp Kurz wollte ich in die eisige Landschaft Russlands sehen: zuerst ging es nach Moskau, gefolgt von sieben Tagen in Irkutsk und schließlich den Baikalsee. Im Winter. Bei extremer Kälte. Kein Wunder, dass unser Umfeld mit Entsetzen reagierte. Sogar eine russische Freundin fragte uns, wieso wir gerade im Februar nach Sibirien fahren wollten.

Unsere Erklärung: Im Februar ist der Baikalsee komplett zugefroren und offenbart sein spektakuläres Antlitz. Jeder, der Bilder der bis zu einen Meter dicken Eisschicht kennt, wird mir zustimmen. Und dafür nahmen wir auch die bitterkalten Temperaturen in Kauf.

Philipp genießt die Ruhe einer schier endlosen, schnurgeraden Straße.
Foto: Michael Prügl

Die Anreise

Nach drei Tagen Moskau machen wir uns am Abend auf den Weg Richtung Irkutsk, der mit 600.000 Einwohnern größten Stadt im Einzugsgebiet des Baikalsees. Unser Abendflug liefert uns nach fünfeinhalb Stunden Flugzeit und fünf Stunden Zeitverschiebung um 9 Uhr morgens am Flughafen Irkutsk ab. Unser erster Weg führt zu unserem Mietauto. Noch können wir nicht wissen, dass die Entscheidung, den teuersten Wagen im Angebot zu buchen, eine äußerst weise war. Die geplante Route führt ans Westufer des Baikalsees, nahe der Insel Olchon ist eine Unterkunft reserviert, die angegebene Adresse erreichen wir nach rund fünf Stunden Fahrzeit inklusive einiger Zwischenstopps für Fotos.

Ein kleines Schneegestöber auf dem Weg von Irkutsk ans Westufer des Baikalsees.
Foto: Michael Prügl
Eine Herde wilder Pferde am Weg zum Baikalsee.
Foto: Michael Prügl

Auf Herbergssuche

Wir müssen feststellen, dass Google Maps in diesen Teilen der Erde nicht zu hundert Prozent akkurat arbeitet. Immerhin lassen sich die von der Unterkunft verfügbaren Bilder einem Gebäude zuordnen und so versuchen wir unser Glück. Ein offensichtlich leicht angetrunkener, etwas älterer Herr öffnet uns die Tür bei minus 20 Grad im offenen Flanellhemd. Wir versuchen mit ihm zu kommunizieren, einziges Problem: Wir sprechen kein Wort Russisch, und er kein Wort Englisch oder Deutsch. Im Normalfall nicht weiter tragisch bei einer bereits gebuchten Unterkunft, doch es sollte etwas anders kommen.

Nachdem unser russischer Gastgeber kurz telefoniert (und sich dabei offensichtlich mit seinem Gegenüber darüber lustig macht, dass tatsächlich zwei junge Männer bei ihm unterkommen wollen), zeichnet er uns den Weg zur "richtigen" Unterkunft in den Schnee. Dort angekommen finden wir weitere Bewohner des Dorfes vor, die nichts mit einer Unterkunft zu tun haben scheinen, uns jedoch freundlicherweise versuchen zu helfen. Philipp wird sogleich von einem motivierten Herrn aufgefordert, in seinen Transporter einzusteigen und zeige mir an, dass ich ihnen folgen solle.

Eine waghalsige Autofahrt später stehen wir wieder vor der Tür des uns bereits bekannten, leicht angetrunkenen Hemdträgers. Nachdem sich dieser ob der fortschreitenden Kälte nun doch für eine leichte Jacke entschieden hatte, beginnt eine viertelstündliche Diskussion, inklusive Telefongespräch mit einer Übersetzerin, sowie einer weiteren Anwohnerin, die zu Hilfe kam. Wir verstehen weiter kein Wort, allerdings kommen die Beteiligten zu einem Ergebnis, denn unser russischer Freund startet seinen Wagen und fährt uns zu einer Unterkunft, in der wir ein kleines Zimmer mit Dusche und warmem Wasser zugewiesen bekommen – der Tag ist also gerettet.

Anekdote am Rande: Einige Tage nach Ende unserer Reise erhalten wir eine E-Mail des Buchungsportals, in der steht, dass uns "der Hotelier aufgrund unserer Unzufriedenheit mit dem angebotenen Zimmer in eine alternative Unterkunft gebracht hat" und keine Gebühren anfallen.

Sonnenaufgang am Baikalsee

Wir verlassen unsere Unterkunft am nächsten Tag frühmorgens, um die ersten Sonnenstrahlen direkt am See bewundern zu können. In der Tat werden wir mit einem nahezu perfekten Sonnenaufgang begrüßt, ein Umstand ist dennoch etwas deprimierend: Schnee. Der See ist zugeschneit und windstill, Umstände – wie uns von einem ansässigen Touristen-Guide bestätigt wird – die es so am Baikalsee normalerweise nicht gibt. Noch wissen wir nicht, dass der Schnee während unseres gesamten Aufenthalts das blanke Eis verdecken sollte.

Eine kleine Touristengruppe ist ebenfalls zu Sonnenaufgang am See.
Foto: Michael Prügl
Sonnenaufgang am Baikalsee bei angenehmen minus 25 Grad Celsius.
Foto: Michael Prügl

Wir machen uns auf den Weg Richtung Insel Ogoy, rund eine Stunde zu Fuß von der Küste entfernt. Während man über das Eis geht, hört man immer wieder ein dumpfes, lautes Grollen unter den Füßen. Man gewöhnt sich an diese Geräusche, dennoch ist es etwas beängstigend, wenn man sich zu Gemüte führt, dass man gerade über den tiefsten See der Welt spaziert. (Michael Prügl, 24.2.2017)

Fortsetzung folgt.

Am Ufer der (kleinen) Insel Ogoy.
Foto: Michael Prügl

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