Das Dach des britischen Parlaments zeigt deutlich: Dieses Gebäude muss schleunigst saniert werden. In welcher Form es nun dazu kommen wird, das müssen die beiden Kammern bald entscheiden.

Foto: Houses of Parliament

Nicht wenige Kabel und Rohre.

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Die rund 4000 antiken Fenster sind auch erneuerungsbedürftig.

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Feuchtheiß ist es hier unten. Durch den endlos scheinenden Gang läuft eine gewaltige Dampfleitung, trotz massiver Isolation lässt sie sich kaum anfassen. "Da steckt genug Energie drin, um menschliche Knochen zu durchdringen", teilt Andrew Piper sachlich mit. Dass gleich daneben die Gasleitung und wenige Zentimeter weiter ein Elektrokabel unter Hochspannung liegen, macht die Situation nicht entspannter. Sorgen müsse man sich aber nicht machen, sagt der 34-jährige Ingenieur: "Wir haben eine Feuerwache, 30 Fachleute sind rund um die Uhr im Einsatz." Wie schön.

Piper hat sich im Laufe seiner vierjährigen Tätigkeit im ehrwürdigen Palast von Westminster an eine Situation gewöhnt, die normalerweise für jeden Bauingenieur eine Horrorshow darstellt. Der neugotische Riegel aus honigfarbenem Kalkstein direkt an der Themse gehört zu den berühmtesten Gebäuden der Welt, genießt den Status eines Unesco-Welterbes und hat jährlich eine Million Besucher, von seiner Funktion als Volksvertretung der sechstgrößten Wirtschaftsmacht der Welt einmal abgesehen.

Deutliche Empfehlung von Experten

Aber das Parlament ist auch eine Bauruine. Die 650 Unterhaus-Abgeordneten und die 805 Lords und Ladys im Oberhaus sitzen auf einem erheblichen Risiko. Schon vor fünf Jahren kam ein Expertengremium zu dem Schluss: "Wäre der Palast nicht von höchster Bedeutung als nationales Kulturerbe, würde man dem Besitzer den Abbruch und Wiederaufbau des Gebäudes nahelegen."

Also eine gründliche Sanierung. Was es alles zu tun gibt, hat eine Studie der Beratungsfirma Deloitte aufgelistet. Die Details reichen von den 80 Jahre alten Leitungen im Keller über allgegenwärtigen Asbest bis zu den erneuerungsbedürftigen rund 4000 antiken Fenstern. Eine moderne Heizungsanlage soll her, Wasserleitungen müssen neu verlegt werden.

Urin auf dem Schreibtisch

Die Arbeit des Labour-Abgeordneten Ben Bradshaw wurde zweimal durch Lecks aus dem Raum über ihm, ausgerechnet eine Herrentoilette, unterbrochen. "Da kam der Urin auf meinen Schreibtisch geregnet", ekelt sich der frühere Kulturminister. Damentoiletten gibt es für die 191 Frauen unter den 650 Volksvertretern viel zu wenige, vor allem in der Nähe des Plenarsaals. Wer dort nicht zum Zuge kommt, erinnert sich die konservative Ex-Abgeordnete Ann Widdecombe, "geht den Korridor entlang, eine Treppe hinunter, einen weiteren Korridor entlang und wendet sich bei den Geldautomaten rechts".

Die beiden Kammern sollen bald über einen Bericht des Bauausschusses abstimmen, in dem Volksvertreter und ungewählte Oberhäusler zusammensitzen. Experten und Ausschuss haben mehrere Informationsreisen gemacht, unter anderem nach Wien, wo das Parlamentsgebäude renoviert wird, während die Abgeordneten in der Hofburg residieren.

Nun stehen drei Optionen zur Wahl. Die kostengünstigste würde den Auszug aller Parlamentarier für sechs Jahre nötig machen, die teuerste sieht mehr als 32 Jahre lang zwölf Bauabschnitte rund um den laufenden Betrieb vor. Umgerechnet würden sich die Kosten für das Projekt zwischen mindestens 4,55 Milliarden und bis zu 8,28 Milliarden Euro bewegen.

Beifall bei Brand 1834

Ob die Brexit-Insel, wo Westminster mindestens so verhasst ist wie Brüssel, so viel Geld in die Hand nehmen will? Als der Treffpunkt der Volksvertreter 1834 niederbrannte, sollen die Londoner johlend Beifall geklatscht haben. König Wilhelm IV. bot damals den ungeliebten Buckingham-Palast als neues Quartier an, doch die Parlamentarier bevorzugten einen Neubau. Architekt Charles Barry und sein Gehilfe Augustus Pugin legten Königsthron, Oberhaus und Unterhaus in einer Achse an, das Haus erhielt als eines der ersten Gebäude weltweit eine Klimaanlage: Ein gewaltiges dampfbetriebenes Gebläse sorgte für Luftumwälzung durch die 106 Belüftungsschächte.

Als die Verantwortlichen später auf eine modernere Lösung umsattelten, füllten sich die Schächte langsam mit Kabeln und Rohren. Genaue Pläne gibt es nicht, bei 800 von 3500 Kabeln wissen Piper und seine Leute nicht so genau, was die eigentlich machen. "Immerhin machen sie etwas." (Sebastian Borger aus London, 21.2.2017)