Europa soll sich selbst um seine Sicherheit kümmern – diese Botschaft formulieren die Amerikaner, etwa US-Verteidigungsminister James Mattis, nun nicht mehr so höflich wie früher, sagt Natalie Tocci.

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Natalie Tocci: Pragmatismus auf Basis von Prinzipien als Grundlage für die EU-Globalstrategie.

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STANDARD: Seit der letzten Sicherheitskonferenz hat sich einiges in der Welt verändert: Es gab das Brexit-Votum, später zog Donald Trump ins Weiße Haus ein. Müssen Sie die EU-Globalstrategie nun um- oder gar neu schreiben?

Tocci: Nein. Während wir an der Strategie gearbeitet haben, hat mir die Hohe Repräsentantin (Federica Mogherini, Anm.) gesagt: Lies jeden Satz ein zweites Mal und denk nach, ob er noch Sinn macht, wenn es einen Brexit gibt oder Trump Präsident wird. Damals dachten wir, das wäre nicht wahrscheinlich, aber eben möglich. Heute wissen wir, dass wir in Zeiten leben, in denen unglücklicherweise seltsame Dinge passieren.

STANDARD: Würden Sie das Strategiepapier heute anders anlegen?

Tocci: Ich glaube, wir würden die wichtigste Botschaft noch stärker hervorstreichen. Was ist die Kernaussage der Strategie? Im Wesentlichen diese: Die Welt ist ein ziemlich unschöner Ort voller Krisen und Konflikte, und die europäischen Staaten können darin nur bestehen, wenn sie zusammenstehen. Diese Message ist für mich Post-Brexit und Post-Trump noch relevanter geworden. Der Umstand, dass Trump uns sagt, wir sollen uns selber um unsere Sicherheit kümmern, ist ein zusätzlicher Grund dafür, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik machen sollten – durch mehr Kooperation oder sogar mehr Integration.

STANDARD: Bedrohungen von außen scheinen gar nicht die größte Gefahr zu sein. Mit dem Brexit verliert die Union substanzielle diplomatische und militärische Fähigkeiten. Andere Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen versuchen, die Union von innen zu unterminieren. Dagegen hilft keine Globalstrategie.

Tocci: Genau das ist der wunde Punkt. Unser größtes Problem liegt innen, nicht außen. Die Frage ist, gibt es einen Post-Brexit-Domino-Effekt in der Union? Sind nach dem Brexit ein Frexit, ein Itaxit oder ein Öxit wahrscheinlicher geworden? Ich glaube es nicht. Derzeit sieht man eher einen umgekehrten Trend: Das zeigen die Wahlen und die Regierungsbildung in Spanien und die Präsidentschaftswahl in Österreich. Aber natürlich: Die großen Testfälle sind Frankreich, Italien und Deutschland. Wenn die Präsidentenwahl in Frankreich gut ausgeht, können wir uns weiter mit der Implementierung der Globalstrategie befassen. Wenn nicht, dann heißt es Game over für die EU. Die Union kann ohne die Briten, aber nicht ohne Frankreich existieren.

STANDARD: Vor allem wegen dieses befürchteten Domino-Effektes drängen die Deutschen auf einen harten Brexit. Ist das klug?

Tocci: Noch vor den Deutschen scheinen vor allem die Briten für einen harten Brexit zu sein. Das macht unser Leben in gewisser Weise einfacher. Wäre dem nicht so, dann wäre das Risiko höher, dass auch andere Mitgliedstaaten ähnliche Ansprüche stellen würden. Unser Job ist es, Europa zusammenzuhalten. Und bisher habe ich den Eindruck, dass es im Vorfeld der Brexit-Verhandlungen ganz gut gelungen ist. Wir stehen zusammen. Das hätte ich, offen gesagt, so nicht erwartet.

STANDARD: Zurück zur unschönen Außenwelt: Russland und neuerdings auch die USA scheinen die internationalen Beziehungen zunehmend als Nullsummenspiel zu interpretieren. Die EU forciert Partnerschaft und Kooperation. Kann das zusammengehen?

Tocci: Unsere Globalstrategie führt aber auch Pragmatismus an, Pragmatismus auf der Basis von Prinzipien. Wir müssen wissen, wer wir sind. Wir müssen unsere Werte definieren. Das ist schwer genug. Aber wenn wir es schaffen, uns intern auf unsere Prinzipien zu einigen, dann können wir pragmatisch mit dem Rest der Welt umgehen. In bestimmten Bereichen werden wir mit den USA eine Partnerschaft eingehen können. Bei anderen Themen werden wir mit Russland arbeiten, der Iran-Deal ist ein Beispiel dafür. Aufgrund ihrer Prinzipien kann die EU ziemlich agnostisch sein, mit wem sie Partnerschaften eingeht. Das wird von Thema zu Thema unterschiedlich sein.

STANDARD: Hat sich im transatlantischen Verhältnis, in der Nato aus Ihrer Sicht Substanzielles verändert? Oder geht es einfach nur um Lastenteilung, wie Pentagonchef Mattis zuletzt in Brüssel betonte?

Tocci: Das sind ja keine neuen Töne, die wir aus Washington hören. US-Verteidigungsminister Robert Gates hat Ähnliches bei seiner Abschiedsrede 2011 gesagt. Die Amerikaner sagen den Europäern: Der Kalte Krieg ist seit ein paar Jahrzehnten vorbei. Ihr seid reicher als wir. Es ist an der Zeit, dass ihr beginnt, für eure Sicherheit selber zu bezahlen. Ehrlich gesagt, das ist keine unverschämte Botschaft. Bisher haben sie die Amerikaner sehr höflich formuliert, und wir haben ihnen nicht zugehört. Das ändert sich nun. Wenn die USA die Europäer aufwecken, ist das eine gute Sache.

STANDARD: Was bedeutet das für die EU-Nato-Kooperation?

Tocci: Bis vor ein paar Jahren war das Verhältnis im Prinzip so, dass die Nato sich um die Hard Defense kümmerte und die EU sich um Soft Security. Heute geht es in die Richtung, dass beide beides machen, weil es zunehmend um hybride Bedrohungslagen geht und beide Organisationen auf denselben Schauplätzen aktiv sind – im Mittelmeer oder in der Ukraine etwa. In Zukunft wird es wohl so sein, dass die EU einen Rahmen für einen ernsteren Zugang der Europäer in Sachen Sicherheit bilden wird. Verteidigung wird eine nationale Kompetenz bleiben, aber durch Kooperationen werden die Fähigkeiten aller wachsen.

STANDARD: Über eine Verteidigungskooperation wird in Europa seit Jahren gesprochen, und bisher ist kaum etwas passiert. Was macht Sie so optimistisch?

Tocci: Es gibt eine Konstellation, die wir noch nie zuvor hatten: Die Unsicherheit nimmt zu. Die Menschen wollen, dass die EU mehr tut in der Verteidigungspolitik. Die EU-Kommission will eine aktive Rolle in diesem Bereich spielen. Trump erklärt, eure Sicherheit ist euer Problem. Was braucht es denn noch, damit wir Europäer aufwachen? (Christoph Prantner, 17.2.2017)