Im Knochenmark befinden sich blutbildende Stammzellen, die die verschiedenen Arten von roten und weißen Blutkörperchen und Blutplättchen produzieren. Dazu werden sie von Botenstoffen angeregt, die an sie binden und eine Reaktionskette in Gang setzen, an der viele verschiedene Bausteine beteiligt sind. Bei einer seltenen, bösartigen Gruppe von Bluterkrankungen, den myeloproliferativen Neoplasien (MPN), weisen bei den meisten Patienten die blutbildenden Stammzellen einen Fehler in ihrem Erbmaterial – eine Mutation – auf.

Diese Mutation befindet sich meist in einem ganz bestimmten Baustein der Reaktionskette mit der Bezeichnung Janus-Kinase 2 und führt dazu, dass das Signal zur Blutbildung in den Stammzellen permanent angeschaltet ist. Je nachdem, welcher Typ der Stammzellen betroffen ist, bildet das Knochenmark der Patienten verstärkt entsprechende Blutkörperchen – das Blut wird zu dick und kann die Gefäße verstopfen. Die Folgen können Blutgerinnsel oder verstopfte Blutgefäße sein, die zum Beispiel einen Schlaganfall auslösen können. MPN-Patienten erhalten meist einen Hemmstoff für die Janus-Kinase 2, der das Dauersignal zur Blutbildung unterdrückt. Allerdings werden dadurch auch die Immunzellen geschwächt; die Patienten sind anfälliger für Infektionen.

Deutsche Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben nun Patienten mit unterschiedlichen Ausprägungen der myeloproliferativen Neoplasie untersucht. Dabei haben sie herausgefunden, dass 60 Prozent der Patienten, die besonders viele geschädigte Stammzellen aufweisen, die Mutation auch in den sogenannten T-Zellen haben. Das sind Zellen des Immunsystems, die ganz gezielt in den Körper eingedrungene Krankheitserreger bekämpfen. Ihre Ergebnisse wurden im Fachjournal Leukemia veröffentlicht.

Mit Listerien infiziert

"Dass so viele MPN-Patienten die Mutation auch in den T-Zellen tragen, war bislang nicht bekannt", sagt Dirk Schlüter von der Otto-von-Guericke-Universität. "Um herauszufinden, was dieser Befund für die Patienten bedeutet, haben wir die klinischen Untersuchungen mit Studien an Mäusen kombiniert." Die Wissenschaftler in Schlüters Team haben dazu Mäuse gezüchtet, deren T-Zellen eine Mutation in der Janus-Kinase 2 tragen, und diese Tiere mit gesunden Mäusen verglichen.

"Trotz der Mutation ging es den Mäusen gut, sie wiesen keine Unterschiede zu den Kontrolltieren auf", sagt Schlüter. Daraufhin haben die Forscher die Mäuse mit der Bakterienart Listeria monocytogenes infiziert. Listerien besiedeln zum Beispiel Lebensmittel und können beim Menschen schwere Infektionen bis hin zur Hirnhautentzündung auslösen. Die Untersuchung der Mäuse zeigte: Sieben Tage nach der Infektion mit Listerien hatten die Mäuse mit den mutierten T-Zellen 100-mal weniger Bakterien in der Milz als die Kontrollmäuse. Sie hatten deutlich mehr spezifische T-Zellen gebildet, die gegen die Listerien gerichtet waren, und konnten so die Infektion besser kontrollieren als die Tiere ohne Mutation.

"Wir haben uns auch die Zahl der anderen Blutkörperchen in der Milz der infizierten Tiere angesehen: In den Mäusen mit der Mutation waren neben den T-Zellen auch die Granulozyten und die Vorläufer der Erythrozyten stark vermehrt", sagt Schlüter. "Dadurch wird das Blut wiederum zu dick und es besteht die Gefahr einer Thrombose. Außerdem wiesen die Mäuse erhöhte Entzündungswerte auf."

Stärkere Immunantwort

Um auszuschließen, dass die verstärkte Bildung von Blutzellen allein durch die Listerien ausgelöst wurde, wiederholten die Wissenschaftler die Versuche mit einem pflanzlichen Lektin, welches das Immunsystem stimuliert. "Das Lektin hat das Immunsystem und die T-Zellen der Mäuse aktiviert – genau wie es die Listerien getan haben", sagt Schlüter. "Dabei konnten wir die gleichen Effekte wie bei den Infektionsversuchen beobachten: Die Mäuse mit T-Zell-Mutation zeigten eine deutlich stärkere Immunantwort und wieder eine erhöhte Blutbildung." Das beweise, dass die heftige Reaktion des Immunsystems tatsächlich mit der Mutation in den T-Zellen zusammenhänge.

Als nächstes möchte Dirk Schlüter mit seinem Team den Mechanismus der T-Zell-Aktivierung durch die mutierte Janus-Kinase 2 genauer unter die Lupe nehmen und herausfinden, warum es im Körper zu keiner Gegenregulation kommt. Außerdem ist noch nicht bekannt, was die Mutation in den T-Zellen für Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien bedeutet. "Gemeinsam mit Hämatologen des Universitätsklinikums Magdeburg und Jena wollen wir nun klären, ob diese Patienten zum Beispiel mehr Autoimmun-Symptome aufweisen, vielleicht eine andere Prognose haben als andere MPN-Patienten und dementsprechend auch eine andere Therapie bräuchten." (red, idw, 17.2.2017)