Die beschuldigten Jugendlichen ...

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

... auf dem Weg ...

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... in den Verhandlungssaal.

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Wien – Die sechs Angeklagten, die vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Michaela Röggla-Weisz sind, sehen nicht wirklich wie klassische Schlägertypen aus. Die drei Mädchen und drei Burschen, zwischen 16 und 21 Jahre alt, sind bis auf eine Ausnahme eher schmächtig. Und dennoch haben sie im November gemeinsam eine 15-jährige Bekannte verprügelt, schwer verletzt und den Angriff sogar gefilmt.

Das an die Saalwand projizierte Video ist verstörend. Das Opfer steht bei einer Wand, nacheinander schlagen die anderen sie mit der flachen Hand und der Faust ins Gesicht. So stark, dass ihr Kopf immer wieder zur Seite gerissen wird. Dabei macht die Jugendliche keinerlei Abwehrbewegungen und gibt auch keinen Laut von sich. Die Angeklagten stacheln sich dagegen gegenseitig auf. "Mach mich stolz, Schatz", fordert eines der Mädchen beispielsweise ihren Freund auf, ebenso zuzuschlagen.

Zwei Monate nur flüssig ernährt

Der Fünftangeklagte, der zweifach vorbestrafte Amirchan M., war es laut Aussage des Opfers schließlich, der ihr die schwerste Verletzung zufügte: Zwei Faustschläge von ihm führten zu einem doppelten Kieferbruch, zwei Monate lang konnte sich das Mädchen nur flüssig ernähren.

Die Angeklagten sind alle teilgeständig – dass sie Schläge verteilt haben, geben sie zu, sie hätten aber keine absichtliche schwere Körperverletzung begangen, wie es angeklagt ist. Nur der Sechstangeklagte hat nicht zugeschlagen, ihm wird vorgeworfen, die Tat nicht verhindert zu haben.

Ein wirkliches Motiv können die jungen Menschen dem Senat nicht liefern. Am nächsten kommt einer Begründung noch die Rädelsführerin Leonie H.: Sie habe schon früher Streitereien mit dem Opfer gehabt, außerdem habe dieses ihr H.s verborgtes iPhone und Gewand nicht zurückgegeben, behauptet die 16-Jährige.

"Habe ein hohes Aggressionspotenzial"

Am 9. November habe sie erfahren, dass ihre Gegnerin in einem Wiener Einkaufszentrum ist. Sie alarmierte andere und fuhr hin. "Ich habe ein hohes Aggressionspotenzial", gibt sie zu. "Öfters?", fragt die Vorsitzende. "Nicht immer", lautet die Antwort. Sie wolle aber nun wieder eine Therapie machen.

Die sie offenbar dringend nötig hat. Denn schon am Tag nach dem ersten Vorfall versuchte sie einem anderen Mädchen mit dem Fuß ins Gesicht zu treten – auch das wurde von den anderen gefilmt. Am 23. Dezember wurde sie aus der U-Haft entlassen, sechs Tage später beging sie einen Ladendiebstahl, Anfang Jänner bedrohte die in einem Krisenzentrum Untergebrachte ein Mädchen mit dem Umbringen.

Auch die anderen tun sich schwer, einen Grund zu nennen, warum sie zu Gewalttätern wurden. Einer der Tschetschenen und eine Ecuadorianerin sagen, es habe sie wütend gemacht, als die Erstangeklagte behauptete, das Opfer habe einmal einer Somalierin das Kopftuch heruntergerissen.

Durch Freundin motiviert

"Ich habe das geglaubt, daher war ich wütend", sagt der Zweitangeklagte, der wegen Facebook-Drohungen gegen Außenminister Sebastian Kurz derzeit in Untersuchungshaft ist. Eigentlich habe er aber gar nicht mitmachen wollen, erst die "Motivation" durch seine Freundin habe ihn dazu gebracht.

"Wenn Sie eh nicht mitmachen wollten, warum rufen Sie dann keine Hilfe?", wundert sich Röggla-Weisz. "Glauben Sie, ich verrate meine Freunde?", reagiert D. empört. "Sie schauen also lieber zu, wie jemand geschlagen wird. Da brauchen Sie noch ein Umdenken", hält die Vorsitzende fest.

Auch der Fünftangeklagte, der den Kieferbruch verursacht hat, sagt, er habe Hemmungen gehabt. Tatsächlich bestätigt das Opfer, er habe vor den Schlägen noch "Pati, es tut mir leid" zu ihr gesagt. Sie reagierte mit: "Schlag endlich zu, ich will nach Hause gehen."

"Wollte ihr nur wehtun"

So wie er ("Ich wollte sie nicht verletzen, ich wollte ihr nur wehtun") bestreiten alle eine Verletzungsabsicht. Es sei um "Respektschellen" gegangen, wie sie es nennen. Nicht nur dieses neue Wort lernt Röggla-Weisz. So ist sie auch völlig verwirrt, als die Ortsangabe "Wir waren Plex" kommt. Wie sich herausstellt, ist das Donauplex-Einkaufszentrum in Wien-Donaustadt gemeint. "Pfffhhh, nicht meine Sprache", stellt die Vorsitzende fest.

Das Video wurde übrigens von der Tante einer Freundin des Opfers ins Internet gestellt – und über drei Millionen Mal angesehen. Wie die Frau zu dem Film gekommen ist, bleibt unklar – die Erstangeklagte sagt, sie habe es nur in einer kleinen Whatsapp-Gruppe verschickt.

Das nicht rechtskräftige Urteil: Die Erstangeklagte und der Zweitangeklagte erhalten 18 Monate, sechs davon unbedingt, der Fünftangeklagte 24 Monate, acht unbedingt, die Dritt- und Viertangeklagte bekommen je ein Jahr bedingt, der Sechstangeklagte wird freigesprochen. (Michael Möseneder, 15.2.2017)