Hier geht es Zaches (Gábor Biedermann) an den Schopf. Hinter ihm: Rosabelverde (Anja Herden) und Balthasar (Christoph Rothenbuchner).

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Wien – Gerade einmal "drei Spannen" misst Zaches, der Märchenheld aus der Feder des Fantasten E. T. A. Hoffmann (1776–1822). Ein "Wechselbalg" soll er sein. Ein schniefendes, übel gesonnenes Männlein, das im Reich des Großfürsten Paphnutius mit illusionistischen Kunststücken für Aufsehen sorgt. Im Wiener Volkstheater, so viel vorweg, erscheint der ungezogene Kerl (Gábor Biedermann) vor allem als Wiedergänger des Punk-Idols Johnny Rotten von den Sex Pistols.

Der Sitz von Zaches' Zauberkraft ist im widerspenstigen Haupthaar zu suchen. Durch dieses fährt ihm – wenigstens in Hoffmanns wunderbarer Buchvorlage – die Fee Rosabelverde mit einem gläsernen Kamm. Solcherart gekräftigt, macht sich Zaches in den Augen seiner Mitmenschen, zumal der Regierungsvertreter, systematisch unentbehrlich. Was immer Löbliches passiert, im Reich der "Aufklärung" wird es dem kleinwüchsigen Knilch gutgeschrieben. Eine politische Meisterposse, die man getrost auch als Warnung vor populistischen Umtrieben verstehen darf.

Im Wiener Volkstheater hat sich der Ungar Péter Kárpáti an einer Dramatisierung des romantischen Märchens versucht. Ihr Titel lautet: Klein Zaches – Operation Zinnober. Vor dem roten Vorhang nimmt die Regierungsspitze Aufstellung. Minister (Thomas Frank) und Staatssekretärin (Claudia Sabitzer) flankieren den jungen, blonden Großfürsten (Jan Thümer).

Dieser verkündet, von einer mächtigen Halskrause kaum beeinträchtigt, im Tone des routinierten Innenministers, dass sämtliche Feen und Wichtel aus dem Reich auszuweisen seien. "Unsere Geduld ist am Ende." Und weil die Kategorien schändlich verwirrt sind, folgen Goethes berühmte letzte Worte, in ein Bekenntnis zur Aufklärung umgemünzt: "Mehr Licht."

Fabrik der Illusionen

Von nun an erfasst hektische Betriebsamkeit die schmucke, kleine Universitätsstadt Kerepes. Regisseur Victor Bodo biegt Hoffmanns beißende Wissenschaftssatire auf ein allgemeines Tohuwabohu herunter. Die Nebelkerzen werden entzündet. Das Theater wird wieder einmal bis auf die Grundmauern entblößt und als Fabrikationsort von Illusionen vorgeführt. Es ist schauderbar, nur leider nicht im Geringsten zauberhaft.

Das zur Migration gezwungene Volk der Luft- und Erdgeister verschwindet hinter einem Maschenzaun (Bühne: Lörinc Boros). Zaches aber, der Karrierist mit den ungehobelten Manieren, passiert als Puppenmännlein die dichtgemachte Grenze. Er avanciert unter dem Decknamen "Zinnober" zum Agenten der auf Rache sinnenden Fee (Anja Herden).

Heißa, von jetzt ab werden alle Spielstationen in Rotation versetzt. Ein Pförtnerhäuschen versieht tadellos Dienst als Straßenbahnkabine. Ein Pappendeckelauto aus den Restbeständen des Sozialismus wird von den beiden Sportstudenten Balthasar (Christoph Rothenbuchner) und Fabian (Luka Vlatkovic) als rollendes Häuschen genutzt.

Bewegung in Permanenz

Es bleibt einigermaßen schleierhaft, was die tadellos aufgekratzten Schauspieler eigentlich mitteilen wollen. Bewegung ersetzt in Permanenz das Fassen eines einzigen richtigen Gedankens. Über allen Wechselfällen aber herrscht im mopsfidelen Fürstentum nicht so sehr die Willkür von Zwerg und Absolutisten, sondern das obszöne Auge des Videoschirms.

Die schöne Candida (Evi Kehrstephan), Tochter eines mit Düngemitteln hantierenden Chemieprofessors (Stephan Suske), muss Zwerg Zinnober dann doch nicht heiraten. Da nutzt dem Tunichtgut auch sein schönes rotes Samtkleid wenig.

Bleibt die Frage offen, was uns Bodo und die schmucke Handkamera eigentlich vor Augen führen wollten. Unrecht gut gedeihet nicht? Rotes Haupthaar führt zu sittlicher Verrohung? Immerhin der als Pförtner verkleidete Zauberer Alpanus (Günter Franzmeier) spielt eine tadellose E-Gitarre. Viel forcierter Applaus für die Verzwergung eines Stückes Weltliteratur. (Ronald Pohl, 13.2.2017)