Schätzt an Österreich "die Spielregeln": Ex-Militärpilotin, Autorin und PEN-Club-Stipendiatin Latifa Nabizada.

Foto: Grössing

Wien – Als sie noch ein Kind war, waren es Vögel, die Latifa Nabizada faszinierten. Genau wie die geflügelten Tiere wollte auch sie den Himmel erobern. Als die heute 45-Jährige zum ersten Mal Flugzeuge sah, entschied sie, es den Vögeln gleich zu tun. "Jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, Pilotin zu werden, hat mir gesagt, eine Frau könne nicht fliegen", erzählt Nabizada dem STANDARD.

Als die 1971 in Afghanistan geborene Nabizada noch keine zehn Jahre alt war, erlebte sie, wie die sowjetischen Truppen in ihr Heimatland einmarschierten. Sie ging zur Schule, war Klassenbeste und maturierte während des Afghanistankrieges. Im Alter von 17 Jahren bewarb sie sich – gemeinsam mit ihrer Schwester – als Pilotin bei der Militärakademie. "Zu dieser Zeit war es extrem schwierig für Frauen, eine solche Entscheidung zu treffen", erzählt Nabizada, die aus einer zwölfköpfigen Familie mit usbekischen Wurzeln stammt.

Zwei Frauen, 70 Männer

Ihre Mutter, selbst Hausfrau, habe sie am meisten unterstützt, erinnert sich Nabizada. Der Vater, der als Sanitäter beim Militär gearbeitet hatte, war wenig begeistert. Er hätte seine Tochter lieber als Ärztin gesehen. Als die beiden Schwestern 1989 ihre dreijährige Ausbildung bei der afghanischen Air Force begannen, waren sie die ersten Frauen, die in dem Land Pilotinnen werden sollten. "Es waren zwei Frauen und 70 Männer in unserem Lehrgang. Das war nicht leicht für uns", sagt Nabizada.

Allem Widerstand zum Trotz beendete sie ihre Ausbildung, nähte sogar die Uniformen der Männer um, weil es für Frauen keine gab. Als Hubschrauberpilotin flog sie vor allem Hilfsmissionen gegen die Taliban im afghanischen Bürgerkrieg. "Wir transportierten Lebensmittel und Verletzte. Wenn wir angegriffen wurden, mussten wir auch kämpfen."

Von den Taliban attackiert

Im Jahr 2006 wurden die beiden Schwestern schwanger. Nabizada bekam ohne Komplikationen eine Tochter, ihre Schwester starb bei der Geburt. Nabizada kehrte alleine zum Militär zurück, ihre Tochter Malalai nahm sie mit. Wegen ihres Jobs wurde sie von den Taliban attackiert, weshalb sie ins Verteidigungsministerium wechselte und Direktorin der Menschenrechtsabteilung wurde. "Ich habe versucht, viel für Frauen zu tun, sie über ihre Rechte aufzuklären", erzählt Nabizada: "So habe ich mir viele Feinde gemacht."

Ihre Erfahrungen zeichnete Nabizada in einem Buch auf. Unter dem Titel "Greif nach den Sternen, Schwester!" erschien ihre Biografie 2014 auf Deutsch. "Ich war ein Vorbild für Frauen in Afghanistan. Darauf bin ich sehr stolz", sagt sie. Nachdem die Angriffe der Taliban schlimmer wurden – auf ihr Auto wurde geschossen, ihr Haus verwüstet -, entschied sie, zu fliehen. "Wenn ich noch in Afghanistan wäre, hätte man mich schon längst umgebracht."

PEN-Club-Stipendium

Im Dezember 2015 kam sie mit Visum samt Tochter nach Österreich: Durch das Projekt "Wien als Zufluchtsstadt" erhielt sie das Stipendium "Writers in Exile". Dieses soll politisch verfolgten Schriftstellern die Möglichkeit bieten, ihr Leben und ihre Arbeit in einem sicheren Rahmen fortzusetzen.

Im Juli des vergangenen Jahres stellte Nabizada einen Antrag auf Asyl. Einen Bescheid hat sie bis heute nicht. Trotzdem lernt sie Deutsch. "Es ist sehr anstrengend. Ich bin alt geworden, früher habe ich sehr schnell gelernt." Ihre zehnjährige Tochter habe sich leichter getan und sich die neue Sprache in ein paar Monaten angeeignet. Nach der Schule will Malalai wie ihre Mutter fliegen – als Astronautin ins Weltall.

An Österreich schätzt Nabizada "die Spielregeln", dass Menschen sich an die bestehenden Gesetze halten. Dies sei in ihrer Heimat nicht so. Afghanistan vermisst Nabizada nicht: "Ein Vogel, den Sie aus dem Käfig lassen, der vermisst seinen Käfig nicht." (Oona Kroisleitner, 12.2.2017)