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Der Kontrolldruck wächst. Die Polizei sucht auf Güterzügen entlang der Brennerroute nach illegal Eingereisten Personen.

Foto: Reuters / Dominic Ebenbichler

Innsbruck – Tirol ist Österreichs neuer Hotspot in Sachen illegaler Einwanderung. "Wir hatten 2016 mit 11.812 Aufgriffen illegal Eingereister einen neuen Rekordwert zu verzeichnen", sagt der Tiroler Polizeidirektor Helmut Tomac bei der Präsentation der aktuellen Zahlen der Fremdenpolizei am Dienstag. Das entspricht einer Steigerung von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Österreichweit gingen die Zahlen hingegen um 47 Prozent auf insgesamt 50.924 Personen zurück. Im Bundesländervergleich folgt Niederösterreich mit 9.564 Aufgriffen 2016 an zweiter Stelle und Wien mit 7.843 Aufgriffen auf Platz drei. Dieser Trend scheint sich heuer fortzusetzen, da bis 6. Februar Tirol mit 528 Aufgriffen wieder knapp vor Niederösterreich (501) und Wien (446) liegt.

Lage in Italien spitzt sich zu

Zwar war auch in Tirol nach dem Ende der staatlichen Transfers über die Balkanroute im März 2016 ein deutlicher Rückgang bei den Aufgriffen illegal Eingereister zu verzeichnen. Doch Tomac warnt vor einer "scheinbaren Ruhe". Man müsse die Situation in Italien sehr genau beobachten und notfalls rasch handeln. Denn dort spitze sich die Lage kontinuierlich zu. So verzeichnete Italien 2016 insgesamt 181.436 sogenannte Anlandungen, also Flüchtlinge, die in Booten übers Mittelmeer kamen. Weitere 350.000 Menschen würden bereits in Libyen auf die Weiterreise nach Italien warten, sagt Tomac.

Daher warnt der Polizeidirektor vor einer möglichen "Sandwich-Position" Österreichs. Denn im Norden rüstet die deutsche Polizei ihre Kräfte an der Grenze zu Österreich weiter auf, während im Süden die Zahl der Flüchtlinge stetig zunimmt: "Heuer scheint auch das raue Winterwetter die Menschen nicht vor der gefährlichen Überfahrt abzuhalten." So wurden 2017 bereits 8.425 Anlandungen verzeichnet. Schon jetzt sind 65 Prozent der Aufgegriffenen illegal eingereisten Personen in Tirol aus Italien gekommen. Und allein 2016 nahm Tirol zusätzlich zu den Aufgriffen 4.750 Personen aus Deutschland zurück, die versuchten, dort illegal einzureisen. Tomac mahnt daher, vorbereitet zu sein, sollte die Lage wieder eskalieren.

"Steuern auf ein Problem zu"

In einem solchen Fall würde das bereits installierte Grenzmanagementsystem auf dem Brennerpass sowie die noch im Aufbau befindlichen kleineren Anlagen in Nauders sowie in Silian hochgefahren. Dann würden dort sämtliche Grenzübertritte nach Tirol kontrolliert. Wobei man die Anlagen so gebaut habe, dass der Transitverkehr über den Brenner so wenig wie möglich beeinflusst werde. Dass Deutschland seine Grenzen kontrollieren dürfe, Österreich von der EU jedoch noch keine Erlaubnis dazu erhalten habe, ist für Tomac "unverständlich". Denn, so der Polizeidirektor: "Wir steuern hier auf ein Problem zu."

Zugleich warnt Tomac aber davor, Grenzkontrollen als Allheilmittel anzusehen: "Selbst wenn wir Kontrollen durchführen, so sind diese nicht als Lösung des Problems geeignet." Dies sei Aufgabe der Politik. Wobei eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die gesamte EU oder ein Eingreifen zur Verbesserung der Lage in den Herkunftsländern derzeit nicht absehbar sei. Tomac merkt in diesem Zusammenhang an, dass der Polizei in mancher Hinsicht das nötige Instrumentarium fehle, um schnell und effektiv handeln zu können.

Zum einen gestalte sich der Aufbau des Grenzmanagementsystems durch langwierige Verhandlungen mit Grundeigentümern sowie obligatorische Ausschreibungen mühsam. Zum anderen stelle es die Polizei vor Probleme, dass sogenannte "formlose Rückschiebungen" illegal Eingereister über den kurzen Weg kaum mehr möglich sind. Denn so wie Österreich, nimmt auch Italien keine in der Eurodac-Datenbank registrierten Personen mehr auf diesem Weg zurück. Es bedarf eines Dublin-Verfahrens, das aber einige Wochen dauert. "Wir dürfen diese Personen nur 72 Stunden festhalten", erklärt Tomac. Das bedeute aber nicht, dass die Betroffenen nun alle in Tirol bleiben und auf den Ausgang dieses Verfahrens warten. Die meisten versuchen auf eigenen Faust, weiter in Richtung Norden zu kommen.

Zahl der Asylanträge sinkt

Die Zahl der in Tirol gestellten Asylanträge sinkt nämlich – trotz zunehmender Aufgriffe illegal Eingereister. Im Vorjahr waren es 1.881 Anträge, während 2015 noch 2.210 Asylansuchen gestellt wurden. Die sinkende Zahl der Asylanträge bestätigt auch Tirols Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne). Dadurch nehme der Druck auf die Versorgungseinrichtungen ab. Seitdem die Balkanroute gesperrt wurde, sei zudem zu beobachten, dass kaum noch Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen seien, sagt Baur. Ein Eindruck, den die Zahlen der Polizei belegen. So waren 87 Prozent der Aufgegriffenen illegal Eingereisten in Tirol im Jahr 2016 Männer. Nur 1.634 Frauen und 776 Kinder unter 14 Jahren wurden verzeichnet.

Auch die Herkunftsnationen haben sich 2016 stark verändert. So wurden 2015 insgesamt 3.116 Menschen aus Eritrea, 1.103 aus Syrien und 935 aus Afghanistan aufgegriffen. Im Vorjahr waren Nigerianer mit 1.860 Aufgriffen am häufigsten vertreten. 1.159 kamen aus Marokko und 870 aus Afghanistan. Die Zahl der Syrer halbierte sich 2016 auf 530.

Schließlich wurden auch die Transportmittel, die zum illegalen Grenzübertritt genutzt werden, protokolliert. Im Grenzgebiet hat die Exekutive die sogenannten Ausgleichsmaßnahmen, die anstelle von Grenzkontrollen durchgeführt werden, und damit den Kontrolldruck verstärkt. So passierten 64,74 Prozent der Aufgriffe durch die Polizei in Tirol in Personenzügen, 32,26 Prozent auf der Straße. Dieser Kontrolldruck führte wiederum dazu, dass die Flüchtlinge auf alternative Transportmittel auswichen. Mit zum Teil dramatischen Konsequenzen. Denn ab November 2016 versuchten immer mehr Personen, auf aus Italien kommenden Güterzügen durch Tirol nach Deutschland zu gelangen. Ein solcher Versuch forderte zum Jahresende 2016 zwei Todesopfer. Insgesamt wurden 2016 auf Güterzügen 148 Personen aufgegriffen. Weniger gefährlich und deshalb häufiger ist der Versuch, in Fernbussen die Grenzen zu überwinden. Die Tiroler Polizei berichtet im Vorjahr von 397 Aufgriffen in Fernbussen. (Steffen Arora, 7.2.2017)