Zwei der 450 präkolumbianischen Geoglyphen im westbrasilianischen Bundesstaat Acre, die erst aufgrund der Abholzung sichtbar wurden.

Jenny Watling

Die ersten Erdformationen wurden 1999 entdeckt und lösten wilde Spekulationen aus. Nun dürften Forscher die wichtigsten Fragen rund um die rätselhaften Formationen beantwortet haben.

Jenny Watling

Washington/Wien – Der Regenwald im Amazonasbecken ist nicht nur der größte der Welt. Er gemeinhin gilt auch als bestes Beispiel für einen naturbelassenen Lebensraum, der von Menschen bis vor wenigen Jahrzehnten weitgehend verschont blieb. Doch ausgerechnet als Folge großflächiger Rodungen tritt nun eine andere Geschichte dieser Region zutage.

In Acre, dem westlichsten Bundesstaat Brasiliens, der unmittelbar an Peru und Bolivien grenzt, wurden in den vergangenen Jahren tausende Quadratkilometer Wald abgeholzt und bewirtschaftet. Luftaufnahmen der Flächen zeigten zahlreiche sogenannte Geoglyphen – großflächige Erdzeichnungen und -muster, die auf einer Fläche von 13.000 Quadratkilometern verstreut sind.

Rund 450 große Anlagen

Die Aufnahmen, die seit 1999 die Fachwelt aufhorchen ließen, weckten auch das Interesse der Archäologin Jennifer Watling, die zurzeit an der Uni São Paulo arbeitet. Watling nahm mit einem internationalen Forscherteam diese über 450 kreisförmigen und viereckigen Erdmuster unter die Lupe – und liefert nun im Fachblatt "PNAS" einige neue Erkenntnisse zum Alter und Zweck der Bauten. Vor allem aber analysierte sie, was damals mit dem Wald rings um die Formationen passierte.

Bisher wusste man bereits, dass die Geoglyphen bis zu 300 Meter groß sind; die Gräben, die von den damaligen Bewohnern des Amazonasbeckens ausgehoben wurden, haben eine Breite von bis zu elf Metern und eine Tiefe von bis zu vier Metern. Sie gehören damit zu den beeindruckendsten Beispielen präkolumbianischer Monumentalarchitektur. Die erste neue Erkenntnis von Watling und Kollegen betrifft das Alter der Anlagen: Es schwankt zwischen 3500 und 650 Jahren, was auf eine relativ lange Besiedlung der Gegend hindeutet.

Wozu aber haben die Anlagen gedient? Und was war mit dem Regenwald jenseits der Geoglyphen? War der damals auch schon großflächig niedergebrannt worden, wie einige Forscher bereits vermuteten? Haben diese Feuer womöglich sogar zu Kaltzeiten in Europa beigetragen, wie auch schon spekuliert wurde?

Aufschlüsse aus Bodenproben

Um diese Fragen zu klären, nahmen Watling und ihr Team in einigen Anlagen Proben und analysierten zudem den Boden in mehreren Kilometern Entfernung. Die so gewonnenen Daten legen zum ersten nahe, dass die Anlagen vermutlich als eine Art Versammlungsort gedient haben könnten, ähnlich wie Stonehenge in England. Für dauerhafte Siedlungen fanden die Archäologen zu wenige menschliche Überreste.

Zahlreiche alte Spuren von Palmen deuten zum zweiten darauf hin, dass diese Bäume und andere nutzbare Gewächse in den Geoglyphen und rings um sie gezielt angepflanzt wurden, um Nahrungsmittel zu liefern. Nach Aufgabe der Anlagen Mitte des 14. Jahrhunderts ging der Palmenbewuchs anscheinend wieder zurück, doch Spuren der vom Menschen geschaffenen Vegetation hielten noch lange an.

Bodenproben rund um zwei der Anlagen legen schließlich nahe, dass ringsherum keine großflächigen Waldgebiete (damals übrigens Bambus, was auf früheren menschlichen Einfluss schließen lässt) gerodet wurden, wie spekuliert worden war. Die Anlagen dürften also versteckt gewesen sein – und die Landnutzung ökologisch vergleichsweise nachhaltig, wie Jennifer Watling betont: "Unser Nachweis, dass die Amazonaswälder von den indigenen Völkern lange vor der Ankunft der Europäer bewirtschaftet worden waren, kann keinesfalls als Rechtfertigung für die zerstörerische Landnutzung genannt werden, die heute praktiziert wird." (tasch, 7.2.2017)