Eingang zum U-Bahnhof Victoria in der Athener Innenstadt, einem der Treffs für Schleppergeschäfte. Angeblich probieren derzeit rund 200 Flüchtlinge am Tag die Ausreise über den Flughafen.

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Ein Anruf und ein Treffen mit einem Mittelsmann auf dem Omonia- oder rund um den Victoria-Platz in der Athener Innenstadt genügen. Das Geld kommt in einen Safe. Bezahlt wird nur, wenn es klappt. Wenn der Kunde sich mit seinem falschen Ausweis an den Kontrollen vorbeigeschummelt hat und in der Maschine sitzt, auf dem Weg in ein anderes Land der Schengenzone. Dort, wo Wirtschaft und Asylbürokratie besser funktionieren, anders als in Griechenland. "Es ist unsere einzige Chance", sagt Elias.

Der Flughafen Athen ist ein wundersames Tor, durch das sich täglich Flüchtlinge nach Europa absetzen. Schnell und gefahrlos. Auch Elias will dort durch, und zwar möglichst rasch, noch bevor das Dublin-Abkommen am 15. März wieder in Kraft treten soll und Asylsuchende zurück nach Griechenland geschickt werden. Wenigstens 2500 Euro braucht der junge Syrer für einen falschen Ausweis. Aber er hat nicht einmal einen festen Schlafplatz in Athen.

Ziel ist Deutschland

Elias, der Flüchtling, ist zwar registriert, aber abgetaucht. Von der Ägäisinsel, auf der er interniert sein sollte wie 15.000 andere, hat er es irgendwie nach Athen geschafft. Und natürlich heißt er auch nicht Elias. Seine Flucht aus Syrien ist ja noch nicht zu Ende. Der 28-Jährige will nach Deutschland zu seinen zwei Brüdern.

Gegen Bares arrangiert Athens Schlepperbranche alles und rund um die Uhr: den passenden Ausweis zum Gesicht, den wenig kontrollierten Flug etwa nach Madrid oder Bratislava, gegen Aufpreis auch Bus und Hotel für die Weiterreise nach Deutschland. Gelingt der Flug, meldet sich der Reisende bei seinem Schlepper und gibt den Code für den Safe durch. Scheitert der Reisende, bekommt er eben einen neuen falschen Ausweis und ein Ticket. Das alles ist möglich in Athen.

Streng kontrollierte Flüge bekannt

50 bis 100, an Spitzentagen 200 illegal reisende Immigranten greift die griechische Polizei am Flughafen Eleftheros Venizelos in Athen heraus. Etwa 2000 Passagiere haben deutsche Polizeibeamte dort im vergangenen Jahr aufgehalten, gibt das Innenministerium in Berlin an.

Zwei Beamte wurden zur Unterstützung der griechischen Polizei nach Athen entsandt, ein dritter zum Flughafen in Thessaloniki; sie stehen in der Regel an den Gates zu den Flügen nach Deutschland, dem wichtigsten Ziel der Flüchtlinge. Doch das wissen auch die Schlepper. Sie kennen auch die Linien, bei denen das Bodenpersonal lieber zweimal auf den Ausweis schaut.

Die Dunkelziffer

Rund 6000 Passagiere mit falschen Dokumenten sind 2016 bei der griechischen Fluggesellschaft Aegean Airlines aufgefallen. Das wären am Tag im Durchschnitt 16 bis 17 Flüchtlinge nur bei dieser einen Fluglinie. Wie viele aber unerkannt durchkommen, lässt sich kaum rekonstruieren. "Das ist die Dunkelziffer", sagt ein Polizeibeamter aus einem anderen EU-Land in Athen.

Einen Anhaltspunkt gibt es: 29.000 Syrer meldeten sich im vergangenen Jahr zwischen April und Dezember in Deutschland bei den Asylbehörden, nachdem die Balkanroute bereits geschlossen und das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft war.

Torschlusspanik wegen Dublin-Abkommen

Rund 40 Flüge gehen jetzt im Winter jeden Tag von Athen in die Schengenländer. Syrer, die – anders als Elias – Geld haben und ihren Absprung vorbereiten, berichten von etwa 200 Flüchtlingen, die wegen des Wieder-in-Kraft-Tretens des Dublin-Abkommens jetzt täglich die Ausreise versuchen.

Marwan, ein 23-jähriger Syrer, dessen zwei Schwestern vor Monaten bereits die Ausreise gelang, hat gerade seinen vierten Versuch hinter sich. Zuletzt probierte er es mit einem griechischen Personalausweis, einem hellblauen, in Plastikfolie eingeschweißten Lappen mit einem Schwarz-Weiß-Foto. Ein griechischer Polizeibeamter, der am Flugsteig stand, hat ihn auf die Probe gestellt und wollte mehr über die Stadt wissen, in der dieser Ausweis ausgestellt worden war. Marwan konnte nicht antworten.

Beamte "sind freundlich zu uns"

Flüchtlinge, die auffliegen, sitzen keine Stunde auf der Polizeiwache am Flughafen. Gefälschte Pässe werden vernichtet, authentische an die Konsulate der jeweiligen Länder in Athen geschickt. Eine Strafanzeige wegen Dokumentenmissbrauchs gibt es in der Regel nicht. "Sie sind freundlich zu uns", berichten Syrer über die griechischen Polizeibeamten. Manchmal gebe es sogar ermunternde Worte: "Versucht es eben noch einmal."

Eine Anfrage des STANDARD an die griechische Polizei wurde nicht beantwortet. Ebenso wenig nahmen Europol und das dortige Zentrum zur Bekämpfung des Schlepperwesens Stellung. Polizeibeamte aus anderen EU-Ländern, die in Athen Dienst tun, zeigen allerdings Verständnis für ihre griechischen Kollegen. Eine völlige Kontrolle am Flughafen sei unrealistisch, heißt es. Jeder Staat wäre mit einem Flüchtlingsproblem von der Größe wie in Griechenland überfordert.

"Für Profis kein Problem"

Das Risiko, dass Extremisten oder sogenannten "Gefährdern" die Ausreise durch die Drehtür Athen gelingt, ist jedoch real. Ein Beamter fasst das so zusammen: "Wenn etwa eine Familie mit kleinen Kindern das schafft, die keine Erfahrung mit Schmugglern und gefälschten Pässen hat, dann ist es für Profis erst recht kein Problem." (Markus Bernath aus Athen, 6.2.2017)