Besichtigt haben Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP; Mitte) und die damalige Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) die Baustelle Brenner Basistunnel in Steinach am Brenner im Rahmen der Bundesländertour "Erfolgreich.Österreich". Die Kostenschätzungen irritierten nicht.

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Wien – Aktuelle Kostenprognosen sind nicht verfügbar, die Zulaufstrecken im Norden und Süden existieren nur auf dem Papier, gekürzte Förderzusagen der Europäischen Union und eine vergleichsweise üppige bahntechnische Ausrüstung – der Rechnungshof (RH) hat viel auszusetzen am Jahrhundertprojekt Brennerbasistunnel (BBT).

Auf 140 Seiten haben die staatlichen Buchprüfer ihre Erkenntnisse über das österreichisch-italienische Tunnelprojekt zwischen Innsbruck und Franzensfeste ausgebreitet und dem Nationalrat zugeleitet. Sie lassen an der Professionalität der Bauherren des BBT zweifeln. Denn halbwegs valide Kostenschätzungen lagen bei Beschluss zum Bau des Lieblingsbauwerks der Tiroler durch die Bundesregierung augenscheinlich nicht vor. Sie stiegen von der ersten öffentlichen Gesamtkostenprognose im Jahr 2002 von 4,5 Milliarden Euro denn auch auf 8,66 Milliarden Euro elf Jahre später, haben sich also fast verdoppelt. Gemessen am Baupreisindex der Statistik Austria ist das erheblich, denn der stieg zwischen Jänner 2002 und Dezember 2012 nur um rund 31 Prozent.

Die Zuverlässigkeit von Vor- und Einreichprojekt lässt sich auch daran ablesen, dass der größte Kostenschub nach Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) kam. Damals erhöhten sich die erstmals vorausvalorisierten) Gesamtkosten auf die 8,66 Milliarden Euro – die letzte vom Aufsichtsrat genehmigte Kostenprognose für das von Österreich und Italien halbe-halbe finanzierte und von der EU vergleichsweise sparsam bedachte Projekt.

Kleingerechnet

Der RH kritisierte die Qualität der Kostenvoraussagen, insbesondere dass auf unterschiedlicher Preisbasis operiert wurde. 2002 fehlten Planungsgrundlagen und Erkundungsarbeiten, die Kosten für den Probebetrieb wurden zu spät berücksichtigt. Weitere Treiber waren Inbetriebnahme und Probebetrieb (nicht inkludiert), Risikovorsorge, höher angesetzte Managementkosten, Leistungsänderungen in Umfang und Ausführungszeiten der Bauwerke sowie Auflagen im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).

Die Steigerungen seien "hoch", attestiert der RH, obwohl parallel umfangreiche Leistungsreduktionen vorgenommen wurden: 2014 etwa wurden die Überholgleise bei St. Jodok gestrichen, was 50 Millionen Euro brachte.

"Nicht sachlich, nicht objektiv"

Verkehrsministerium und ÖBB-Infrastruktur nennen den vom RH angestellten Kostenvergleich von 2002 und 2013 "nicht sachlich". Dieser sei aufgrund der Nichtberücksichtigung der unterschiedlichen Preisniveaus sowie des geänderten Projektinhalts, der UVP-Auflagen in beiden Ländern und der Hinzunahme der Kosten des Probetriebs und der Inbetriebnahme nicht objektiv.

Kreativ auch die Annahmen für Grundeinlösen: Sie sanken von 2002 bis 2009 von 59,86 auf 45 Millionen Euro. Nach nur vier Jahren waren sie plötzlich um 51 Prozent höher, stiegen auf 69,2 Millionen Euro. Einen Teil wollte man in EU-Förderungen unterbringen, was die EU "ausnahmsweise" zuließ.

Hohe Risiken

Dramatische Steigerungen auch bei den Risikokosten: Sie verdoppelten sich bis 2013 auf 1,295 Milliarden Euro – obwohl das Erkundungsprogramm inzwischen weit fortgeschritten, der Kenntnis- und Ausführungsstand weit gediehen, also plausibilisiert war und Teile des Gesamtprojekts fertig waren.

Der Grund der eklatanten Abweichungen: "erkennbare, aber derzeit nicht identifizierbare und/oder quantifizierbare Risiken", wie die Errichtungsgesellschaft BBT SE in ihrer Stellungnahme schreibt. Dazu gehören politische, rechtliche und sozialrelevante Risiken, Verfahrensrisiken oder Baugrundrisiko, die man mit quantitativen analytischen Methoden zu bewerten suchte. Von den knapp 1,3 Milliarden gilt die Hälfte auf nicht quantifizierbares Gefahrenpotenzial.

Genehmigt wurden diese Risikoannahmen vom BBT-Aufsichtsrat, dem aus Italien abgesandte Mitglieder und ÖBB-Manager wie der nunmehrige ÖBB-Chef Andreas Matthä angehören, übrigens bis 2015 nicht. Aber: Die gesamte Risikovorsorge wurde um 123 Millionen Euro reduziert, weil die identifizierbaren Risiken dank Baufortschritts um 202,5 (auf 835 Millionen Euro) erhöht werden konnten.

Ungewiss wie die Gesamtkosten des längsten Bahntunnels in Europa sind die Zulaufstrecken in Bayern und Italien: Es gibt keine völkerrechtlichen Verträge. Damit werden die Zubringer frühestens zehn Jahre nach dem Haupttunnel fertig, was diesen für Güter- und Personenverkehr entwertet. (Luise Ungerboeck, 2.2.2017)