Ende der Nullerjahre stellte Daniel Richter marschierende Taliban dar, als deren Waffen er immer wieder Gitarren zeigte: "Army of Traitors" (2011).

Foto: Bildrecht, Wien, 2017

Wien – Was die Welt im Innersten zusammenhält, das sind die Farben Rot, Gelb, Blau und ein bisschen Grün. Nicht die Welt an sich vielleicht, aber jene des deutschen Malerstars Daniel Richter. A Flower in Flames heißt ein Gemälde von 2012, auf dem eine Figur in Blitzblau, erinnernd an Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer, über wogenden Lavafluten thront. Jederzeit bereit, scheint's, ist sie, das Signal zum Ausbruch des Vulkans zu geben.

Wollte man eine kleine Mythologie des Richter'schen Kosmos zimmern, ließe sich dieses Bild als Urszene hernehmen, als Erklärung etwa für das Bild Die Idealisten aus dem Jahr 2007. Kein zeitloses Naturschauspiel ist da zu sehen, sondern eine ganz gegenwärtig wirkende, einstürzende Stadt. Und inmitten herabfallender Trümmer: drei Gestalten in Rot, Gelb und Blau, die mit ihren enganliegenden Kostümen Superhelden sein könnten und die Apokalypse mit Luftgitarrenspiel begleiten. Ob sie es sind, die die Welt zum Einsturz bringen, verbunden mit den archaischen Kräften im Inneren des Vulkans? Ob die bunten Punks noch gar nicht wissen, dass die Welt untergeht?

Dies mag das blaue Vögelchen wissen, das hier mitten im Weltuntergang auf einer Schuhspitze sitzt, zwischen Chaos und Kosmos, nicht unähnlich den Besuchern jener großen Retrospektive, die Daniel Richter derzeit im Wiener 21er-Haus gewidmet ist. All diese Menschen, Tiere, Szenen, Symbole, die man hier sieht, liegen an der Kippe. Sie halten die Verbindung zur brodelnden Ursuppe der Farben, aus der sie geschöpft sind. Stets darf neben dem Formwillen die Malerei ihr flammendes, fransiges, hingetupftes, grelles Eigenleben haben. Der Übergang zwischen Figuration und Abstraktion ist fließend, so kann man das nüchtern sagen.

Lonely Old Slogans heißt die Retrospektive Richters im 21er-Haus, eine der ersten großen in Österreich. Seit elf Jahren unterrichtet der 1962 geborene deutsche Künstler an der Kunstakademie das Fach "Erweiterter malerischer Raum", nun macht die Ausstellung deutlich, was man darunter verstehen kann: Statt die Grenzen der Leinwand zu sprengen, verdichtet Richter seinen malerischen Kosmos nach innen hinein, eignet sich zwanglos, ja: anarchisch Stile und Themen an. Wiewohl auch Fragen der Malerei, der Kunstgeschichte für Richter stets maßgeblich sind, so wollte er allerdings doch nie unpolitisch sein. Sozialisiert als Punk des Hamburger Underground, wollte er keine Kunst betreiben, die sich "nicht um ihre Beweggründe schert", wie er in einem Interview sagte. Richters Spiele wollen den Kontakt zur Wirklichkeit halten.

Bilder zum Betreten

Insbesondere trifft das auf jene figürlichen, bühnenhaften Szenen zu, die Richter ab den Nullerjahren schuf, Arbeiten, die die Lebenswelt unmittelbar in ihren Strudel aufnehmen. Das psychedelische Farbrauschen zog sich zurück in die Gesichter der Figuren, loderte aus diesen heraus. Etwa in dem Bild Tarifa, das zwar 2001 entstand, aber beklemmend aktuell ist, zeigt es doch ein Flüchtlingsboot auf teerschwarzem Meer.

Eine eindeutige Aussage darf man sich indes nicht erwarten, Anarchisch wie die Farben bleiben die Botschaften. Richters Bilder erklären nicht die Welt, sie wollen betreten werden, locken dafür mit unerhörtem Detailreichtum. An allen Ecken und Enden lassen sich weitere "Informationen" finden. Weniger ein Schlüssel denn ein weiteres Rätsel sind dabei oft Richters Titel, lyrische Kleinode wie Küss die Schlampe, Flagge oder Weil ihr alle ausseht wie alte beschissene Malerei, müssen wir alle sterben.

Eine Rückkehr zur Abstraktion, die über den Körper führt, stellen indes die aktuellen Bilder aus dem Jahr 2015 dar, die sich im 21er-Haus nur in einem kleinen Raum ausbreiten: Zu sehen sind Körper, die sich in pornografisch anmutenden, fließenden Szenen auflösen. Figuren aus geschwungenen, organischen Linien, die ihre Sexualakte zwischen Bildstörungen zu erleben scheinen, wobei oft im Ungewissen bleibt, ob sie sich auflösen oder gerade finden.

Die Behauptung, es handle sich um Lonely Old Slogans, Äußerungen mit verlorener Sprengkraft, trifft ironischerweise am ehesten auf diese jüngsten Arbeiten zu. Das titelgebende Bild zeigt übrigens einen Punk von hinten – oder doch nur ein leeres Kleidungsstück -, auf dessen Jacke "Fuck the Police" steht. Der weiße Schriftzug rinnt nach unten, in den Urgrund, wohl um sich dort mit neuen Farben zu vermengen. (Roman Gerold, 3.2.2017)